Übrigens …

Pina liebte ihren „Sinn für das Luftige"

Sie begeistert sich für „das Rascheln des Kleiderstoffs" und sieht die Hauptfunktion ihrer Kleider darin, „die Tänzer zu unterstützen, ihnen die größtmögliche Bewegungsfreiheit zu lassen". Marion Citos Kostüme für das Tanztheater Wuppertal „sind tatsächlich Kleider für alles", bestärkt die Pariser Tanzkritikerin Dominique Frétard in ihrem Porträt. „In ihnen kann man lieben, weinen, Spaghetti kochen, den Boden wischen, Ziegelsteine schleppen, schwimmen, einen Eimer Wasser ins Gesicht bekommen... schön sein. Und natürlich: tanzen."

„Schönheit wagen" heißt der opulente Bildband von Pina Bauschs langjähriger Kostümbildnerin. Die Aufnahmen von internationalen Fotokünstlern wie Ulli Weiss, Ursula Kaufmann, Gert Weigelt, Guy Delahaye, Francesco Carbone, Laszlo Szito und Oliver Look sind ein glänzender Mix aus „Inszenierung" und „Garderobe". Selbst auf den Kleiderständern machen diese Roben, Anzüge, Kleidchen, Lendenschurze und Badeanzüge noch bella figura. Die Betrachterin fühlt sich verlockt, eins der Ballkleider zu probieren - sich glamourös zu fühlen! Das entspricht ja durchaus dem aktuellen Dresscode „dress to impress".

Auf gar keinen Fall wollte Pina Bausch auch nur die kleinste Andeutung von Folklore in ihren Stücken sehen - so sehr sich das vielleicht der eine oder andere Co-Produzent aus Fernost oder Lateinamerika gewünscht hätte. Landspezifische Kleidungsstücke erlaubte sie ausnahmsweise, wo sie aussagekräftig waren, wie etwa der baumwollene indische Dohti der Männer in „Bamboo Blues" oder Schottenröckchen (zur derben schwarzen Lederjacke für den Schotten Mark Sieczkarek) in „Ahnen". Bausch, die sich in dezent eleganten, losen schwarzen Outfits von Yohji Yamamoto am wohlsten fühlte, wollte in ihren Stücken Sehnsüchten nach ewiger Schönheit nachträumen, eben „Schönheit wagen". Sie attestierte Cito einen „Sinn für das Luftige, der dem, was ich mag, entgegenkommt."

Auf der Innenseite des hinteren Deckels zeigt eine schwarz-weiße Aufnahme von Francesco Carbone die junge Pina mit abenteuerlich keckem Gesichtsausdruck, wohl aus den ersten Wuppertaler Jahren, als Cito dazu stieß. Man verstand sich fast wortlos. 1976 war die gebürtige Berlinerin und Ex-Ballerina der Deutschen Oper über den Umweg Darmstadt, wo sie drei Jahre Gerhard Bohners Truppe angehörte, nach Wuppertal gekommen, hatte einfach angefragt, ob man sie brauchen könne, tanzte im Ensemble, assistierte Bausch und Rolf Borzik. So wuchs sie in ihre unvorhersehbare Rolle hinein, nachdem Borzik 1980 so tragisch früh gestorben war. Bis zu Bauschs Tod kreierte Cito mit schier unerschöpflicher Kreativität und Raffinesse ein ganzes Arsenal atemberaubender Galaroben für die Damen - und zuweilen auch für die Herren. Die Tänzer tun das Ihre, die Stoffe mit oft floral romantischen oder stilisierten Mustern dramatisch in Szene zu setzen: Morena Nascimento biegt sich weit nach vorn in einer lind-grünen Wolke. Nayoung Kim wirkt streng und doch kokett im quer gerafften Oberteil zum geometrisch drapierten Rock. Das kirschrote Kleid von Clémentine Deluy plustert und wellt sich wie eine vom Wind aufgepeitschte Welle im Meer. Begeisternd ist der lässige Schick der Anzüge aller Couleur, akzentuiert etwa durch lange Ohrgehänge oder ein Collier für Dominique Mercy. Pablo Aran Gimeno gefällt nicht nur sich selbst im Jackett, das gerade den Po bedeckt. Die nackten, beharrten Beine enden in hohen magentafarbenen Lack-Stilettos.

Impressionen wie vom Catwalk in Mailand, Paris oder Berlin sind viele Fotos - sinnlich, temperamentvoll und elegant. Die Diskrepanz zwischen Schein und Sein, Traum und Wirklichkeit, Weltschmerz und Lebenslust, Hass und Zärtlichkeit, die Bauschs Stücke prägen, wird oftmals verschleiert durch die schiere Schönheit und Eleganz von Stoff und Design der Kostüme. 30 Jahre lässt das Buch Revue passieren. Die Fotogalerie beginnt mit dem letzten Stück „...Como el musguito en la piedra, ay si, si, si..." von 2009 und endet mit "1980". Im Anhang sind die Stücke in umgekehrter, chronologischer Folge gereiht.

Zwischen den glamourösen Bildern dieses Prachtbandes verstecken sich die wenigen Textbeiträge (in vier Sprachen) fast verschämt. Zum Geleit drückt Yohji Yamomoto (bedauernswert hölzern in der deutschen Übersetzung) unter der Überschrift „Eine Person namens Marion Cito" seine „unwiderstehliche Bewunderung für die Kostüme von Marion Cito" aus: „Wenn Pina mich gebeten hätte, für sie Kostüme zu entwerfen, natürlich meinem eigenen Blick entsprechend, ich wäre nicht sicher gewesen, dass ich es so zu ihrer vollsten Zufriedenheit hätte umsetzen können." Norbert Servos fasst Citos Vita sehr knapp zusammen. Auch in dem Porträt von Dominique Frétard in Le Monde von 2007 erfährt man wenig Konkretes über die Entstehung dieser theatralen Haute Couture-„Kollektion". Darüber gibt die aparte, zierliche Künstlerin Auskunft bei offiziellen Präsentationen des Buchs - zum Beispiel am 22. Februar im Tanzmuseum des Deutschen Tanzarchivs Köln (Im Mediapark 7) als Teil des Rahmenprogramms zur Tanzmoden-Schau „Faltenwurf und Walzerschritt".