Das Gesamtwerk für Orgel von Gerhard Stäbler
„Heiß“ heißt eine Komposition von Gerhard Stäbler, Jahrgang 1949, weil sie ein zumindest damals heißes gesellschaftspolitisches Thema anpackt: die zunehmende Technisierung und damit auch die Kapitalisierung unserer Warenwelt. Denn der Zacher-Schüler in Essen begreift all seine Werke als politischen Kommentar, als Zeit-Stücke. So auch das fünfminütige „Heiß“ von 1988/89, bei dem Stäbler die neuen, heute selbstverständlichen Bar-Codes aus „dicken“ und „dünnen“ Strichen kompositorisch (natürlich in einem avantgardistischen oder auch experimentellen Sinn) einsetzte. Aus dieser Struktur schreibt er durchaus noch eine lesbare Partitur – der Interpret besitzt dennoch große Freiheiten.
Diese nutzt Solist Dominik Sustek gemäßigt aus. Der aus Bochum stammende Organist (Jahrgang 1977), der an der Kunststation St. Peter in Köln hauptberuflich wirkt, zudem an verschiedenen Hochschulen doziert, gilt als Souverän in der Musik der Gegenwart. Ob Ligeti, Stockhausen, Rihm oder Hölszky – Sustek hat entweder deren Orgelwerke in Konzerten gespielt oder für eine CD manifestiert. Die Kompositionen Stäblers, zwischen 1988 und 2009 entstanden, misst er in Dimension, Klangfarben, Rhythmen, Eigenheiten wie ekstatischen Rufen oder bräsigen Akkordballungen professionell und technisch jederzeit versiert aus. Er tritt bei Werken wie tap (für Orgelpedal solo!, 1998) oder windows (Orgel solo, 1983), vor allem aber in aber… (Orgel solo, 2009) als Dialogpartner des Komponisten auf: Der Solist und der Tonschöpfer „sprechen“ intensiv, rege und kreativ miteinander. Ob er die politischen Ziel- und Wertvorstellungen Gerhard Stäblers teilt, bleibt allerdings in den Aufnahmen weitgehend offen.
Wer einmal ganz andere Töne von der monumental-orchestralen Orgel hören will und sich diesen Erweiterungen der potenziellen Klangabenteuer ohne Vorurteil öffnet, der wird diese CD als wertvolles und dankbares Geschenk akzeptieren. Nebenbei: Stäblers gesamtes Schaffen für die Orgel wird hier erstmals dokumentiert. Er ist selbst übrigens ein ausgezeichneter Orgelsolist.