Musik zum Fest
Großer Paukenwirbel, satte Blechbläser, glänzende Streicher und ein stimmstarker gemischter Chor – das ist genau die richtige Mischung, um das neugeborene Christuskind in der Krippe fürstlich willkommen zu heißen. Und so fürstlich endet die letzte Strophe von „In dulci jubilo“, dieser rund um den Globus bekannten Weise aus dem 15. Jahrhundert. Wenn sich dann noch der Edel-Sopran von Elisabeth Schwarzkopf krönend als Oberstimme über die Melodie legt, kann Weihnachten kommen!
Elisabeth Schwarzkopf singt Lieder zum bevorstehenden Fest? Ja, sie tut’s – oder genauer: hat’s getan. Vor bald sechzig Jahren in den legendären Londoner Abbey Road Studios mit Walter Legge als Produzent (wem sonst)! Diese Aufnahme von 1957 ist nun wieder ganz frisch und natürlich „digitally remastered“ als CD auf dem Markt.
Auf den ersten Blick scheint es keine Frage zu sein: eine solche Scheibe ist wohl gedacht als nette Begleit- und Hintergrundmusik, wenn Papa den Christbaum illuminiert. Doch das 40-Minuten-Programm der Schwarzkopf ist mehr, viel mehr. Auf jeden Fall weit entfernt von irgend welchem Edel-Kitsch, auch wenn von den 13 Titeln fast jeder ein Weihnachts-Ohrwurm ist. „Stille Nacht“ zum Beispiel, hier anmutig unterlegt mit gebrochenen Gitarrenakkorden und einem wiegenden Horn. Oder das in England sehr populäre „The first Nowell“: jede Strophe bekommt ihre eigene Farbe, ihre eigene Harmonik. Das ist elaboriert eingerichtet! Von keinem Geringerem als dem 2010 verstorbenen amerikanischen Dirigenten Charles Mackerras, der 1957 auch am Pult des Philharmonia Orchestra und der Ambrosian Singers stand und sämtliche Titel instrumentierte, arrangierte, sich an deren textlichen Botschaften orientierte.
So holt Mackerras auch aus einer vermeintlich einfachen Melodie wie „O come all ye faithful“ („Adeste fideles“) doch erstaunlich viel heraus, gibt ihr einen schlüssigen dynamischen Aufbau vom sachten Piano bis zum kräftigen Forte, in das hinein sich die Herren der Ambrosian Singers mischen.
Und dass Elisabeth Schwarzkopf einfach fabelhaft singt, ist sonnenklar. Golden fließen lässt sie Humperdincks „Weihnachten“, um dann mit Johannes Brahms das „Sandmännchen“ ums Haus schleichen zu lassen – was es in Schwarzkopfs unverwechselbarer und unnachahmlicher Art des Umgangs mit Sprache und Klang hier auch wirklich tun darf!
Etwas fragwürdig: Schwarzkopfs balsamisch gesungenes „In einem kühlen Grunde“ – thematisch ebenso deplatziert wie der finale Oster(!)-Choral „Lasst uns erfreuen herzlich sehr“.
Vor solchen Repertoire-Verirrungen ist auch das CD-Programm nicht gefeit, mit dem uns Plácido Domingo „seine“ persönlichen Weihnachtsklänge präsentiert. Da gibt es selbstverständlich auch die „Stille Nacht“, aber schon ein paar Tracks später wird das neugeborene Jesuskind mit dem „Pie Jesu“ aus Andrew Lloyd Webbers „Requiem“ bereits in die ewige Ruhe geschickt! Domingo geht es offenbar nicht konzentriert ums Thema sondern um genüssliche Bonbons für die Ohren, zu denen gewiss auch Mozarts „Ave verum corpus“ zählt. Da spart der Sänger nicht mit weihräucherndem Pathos, und das Czech National Symphony Orchestra samt Chor setzen noch den Heiligenschein obenauf. Überhaupt legt Domingo es darauf an, möglichst häufig die Tränendrüsen anzuregen, so auch zusammen mit Stargast Helene Fischer, die ihre auf brüchig umgeschaltete Stimme im „What Child Is This“ ertönen lässt. Bei „The Guardian Angels“ ist die amerikanische Schauspielerin und Musicaldarstellerin Idina Menzel mit von der Partie, für den „Klassiker“ „I’m Dreaming of a White Christmas“ holt sich Plácido Domingo seinen Sohn als Duo-Partner ans Mikrofon. Stilistisch ist auf dieser CD für jeden etwas dabei: vom weihevoll Getragenen bis hin zum saftigen Breitband-Sound, wie man ihn aus alten Film-Schinken kennt. Aber alles immer am Rand des Kitsches, des übertrieben Gefühlsduseligen - forciert noch von Domingos Marotte, die Töne zu tief anzusetzen und dann nach oben in Position zu schleifen. Das muss nicht sein!
Beide CDs, so verschieden sie auch sind, werden ihr Publikum finden. Zur Besinnung oder zur Berieselung, je nach Erwartungshaltung...