Übrigens …

Geschenke aus dem Musikherbst

Wenn man noch kein Weihnachtsgeschenk hat, wird es jetzt, kurz vor dem Fest, langsam Zeit, sich dran zu machen. Warum nicht klassische Musik schenken? Macht Spaß, bildet und kostet nicht viel. Da gibt es etwa in den letzten Wochen eine Häufung von wertvollen und zudem hervorragend historischen Gesangsaufnahmen. In aller Munde ist – wegen ihres 100. Geburtstags – Elisabeth Schwarzkopf. Bei Warner sind alle ihre 31 EMI-Recitals in frischem Klanggewand erschienen. Wen die raffinierte Künstlichkeit und Ausdrucksmanie der Schwarzkopf nicht abstößt, findet hier ungeheuer vielfältige Schürfgründe. Mit einem sinnlicherem Timbre, großer Sensibilität und ein wenig charmanter Wurschtigkeit gesegnet war die 2006 verstorbene Anna Moffo. Auch ihre Solo-Recitals, die nun in einer preiswerten 12-CD-Box bei Sony vorliegen, sind eine echte Fundgrube. Femme Fragile mit Showtalent – eine einmalige und sehr musikalische Interpretation. Dritter im Bunde ist der jüngst verstorbene Jon Vickers. Warner hat seine hervorragend remasterte Winterreise auf den Markt gebracht, zum Zerreißen spannend und gesangstechnisch teilweise sogar anrüchig, aber mitreißend und eben – einzigartig.

Ein großes Opernjahr war 2015 nicht, zumindest nicht auf dem Tonträgermarkt. Auch die letzte große Produktion, Händels Partenope (Warner), ist kein wirklicher Genuss, weil der eigentliche Star Philippe Jaroussky fast schon bemitleidenswert müde klingt. So führt an Antonio Pappanos Aida (auch Warner) kaum ein Weg vorbei. Trotz der Stars Jonas Kaufmann und Anja Harteros ist es keine Hochglanzaufnahme geworden, sondern feinnerviges, spektakuläres und spannendes Musiktheater. Wer ambitioniertes, aber auch unterhaltendes Musiktheater mag, wird sich über den DVD-Mitschnitt der drei Monteverdi-Opern in der Regie von Barrie Kosky zum Auftakt seiner Intendanz an der Komischen Oper Berlin freuen. Dem Freund des Musizierens auf historischen Instrumenten sei eine Bellini-Opernaufnahme empfohlen, die hierzulande kaum Medienresonanz fand: I Capuleti e i Montecchi bei Glossa. Sehr spannend und mit Vivica Genaux in der Hauptrolle!

Ein grandioser Herbst war es dagegen in puncto Kammermusik. Da kann hier gar nicht alles aufgezählt und empfohlen werden. Herausragend zwei junge Ensembles: Das Bennewitz Quartett gibt seinem Dvorak (bei SWR-Musik) nicht nur naturnahe Schönheit, sondern auch moderne, absichtsvoll ins 20. Jahrhundert schauende Schlankheit mit und das Trio Image (Cavi) widmet sich dem Braunschweiger Brahms-Zeitgenossen und Mathematik-Professor Hans Sommer mit exzeptioneller Klangschönheit, ohne dabei auf Dynamik zu verzichten. Die steht im Zentrum des Klavierquintetts von Leo Ornstein. 108 Jahre ist dieser 2002 verstorbene, amerikanische Komponist geworden. Das in den 1920ern entstandene Quintett stampft vogelwild durch die klassische Moderne, mal wie ein Soundtrack zu Fritz Langs Metropolis, bis zur Geräuschhaftigkeit brutale Maschinenmusik, dann wieder dominante, weit ausgreifende gezackte Linien, hintenrum die eine oder andere zart schmachtende Kantilene, abgelöst durch dicht gedrängtes Aufeinander-Geworfen-Sein. Was Marc-Andre Hamelin und das Pacifica Quartet hier an Power, Intensität und Virtuosität abliefern, ist kaum vorstellbar (Hyperion).

Wer die Neue Musik liebt, kann dieses Weihnachten gut mit Klaviermusik beschenkt werden. Fast schon in aller Munde ist der junge Igor Levit, der in einer Variationsbox Bachs Goldberg-Variationen und Beethovens Diabelli-Variationen Frederick Rzewskis The People United will never be defeated entgegenstellt (Sony). Vor allem das letzte spielt er absolut umwerfend. Jetzt schon: einer der großen Pianisten unserer Zeit. Wer Morton Feldman mag, muss Ivan Ilic mögen. For Bunita Marcus (Paraty) ist hinreißend gespielt und hat jene gänzlich unsentimentale, fast aufbrausende Verlorenheit, die den jungen Pianisten auszeichnet. Dritte im Bunde ist Cathy Krier, auch sie sehr jung schon sehr weit. In ihr 20th Century nimmt sie – neben Berg, Schönberg und Bernd Alois Zimmermann – Franz Liszt mit hinein und lässt ihn frisch und kraftvoll erklingen wie selten in den letzten Jahren (Cavi).

Wir kommen zum Schluss, zu den „Flügeln des Gesanges“, ganz ohne Weihnachtliches übrigens, denn auf diesem Feld hat sich 2015 nichts besonderes Neues ereignet. Vier Recitals ragen heraus aus der Menge, alle widmen sich jeweils einem einzigen Komponisten. Julia Lezhneva (Decca) konzentriert sich sogar auf zwei Jahre in Händels Karriere, auf die ‚Lehrzeit‘ in Italien. Ihre unglaublich leichte Höhe ist auch hier ihr größter Trumpf. Mit traumwandlerischer Sicherheit, gestochenen Tönen und feinstem Legato schwebt sie durch die Stratosphäre und erfreut das Ohr. Ein Traum! Fast noch schöner: „Caldara“ mit Valer Sabadus bei Sony, das perfekte Album für einen schmutzig-grauen Novembertag. Und davon gibt es ja neuerdings im Dezember und Januar auch einige. Mit feinstem Pinsel zeichnet Sabadus diese Miniaturen aus dem Wien des frühen 18. Jahrhunderts mal lyrisch, mal schelmisch, mal enthusiastisch, mal traurig, immer gelassen, mit weicher Tongebung. Diese Musik schmeichelt seiner verführerisch kupferfarbenen Counter-Mittellage über die Maßen, vor allem wenn er quasi Duett singt mit obligaten Begleitinstrumenten, am schönsten mit dem fast wie eine Glasharfe klingenden Psalterion. Stärker zur Sache geht es bei Caldaras neapolitanischem Zeitgenossen Alessandro Scarlatti. Die junge Britin Elisabeth Watts widmet sich ihm bei Harmonia Mundi – und hat alles, was man dafür braucht. Die Stimme hat Wärme, Frische, Geläufigkeit und kann auch mal dramatisch ausbrechen. Aber alles kommt leicht daher und die unterschiedlichen Affekte werden nicht nur klar herausgearbeitet, sondern auch überaus sinnlich gestaltet. Am Ende – auch Autoren haben Vorlieben – noch einmal das 20. Jahrhundert. Holger Falk und Steffen Schleiermacher, ein innovativer Schelm, eine Art intellektueller Helge Schneider unter den großen Pianisten unserer Zeit, haben sich bei MDG Erik Saties Liedschaffen vorgenommen. Da liegt das Chanson des 20. Jahrhundert bereits komplett vor unserem Ohr. Und es kann fliegen, leicht wie eine Feder. Und es lächelt. Manchmal hinterfotzig. Falks Stimme schmeichelt dem Ohr, lässt es aber stets arbeiten. Eine der allerschönsten CDs des Jahres, die – eigentlich – unter jeden Gabentisch passt.

Ich hoffe, ich konnte ein wenig helfen, kurz vor Toresschluss! Frohe Weihnachten! -

Andreas Falentin