Puccini aus Wien - Rossini aus New York
Es sei das derzeit beste Ensemble für Rossinis La Donna del Lago, das rund um den Globus zu erleben sei, schwärmten die Kritiker nach der Premiere an der New Yorker Met im Februar 2015 - einer von ihnen war sich sogar sicher, hier versammele sich der „Weltbelcanto-Gipfel“. Enthusiastisches Lob und reichlich Superlative also für das singende Personal in einer Oper, die zumindest in Europa im Vergleich zu Rossini-Repertoirebestseller wie La Cenerentola, Il Barbiere di Siviglia oder Il Viaggio a Reims ganz klar ein Schattendasein fristet. Zu Recht oder zu Unrecht, das sei in bezug auf die im Schottland des 16. Jahrhunderts angesiedelte Handlung und das Libretto von Andrea Leone Tottola dahingestellt.
Ob dagegen die Rede vom Weltbelcanto-Gipfel zutrifft oder nicht, lässt sich angesichts der aktuellen BluRay-Disc mit dem Live-Mitschnitt vom März 2015 aus der Met klar beantworten: sie ist keine Übertreibung. Denn wie Joyce DiDonato als Elena (die „Dame vom See“) all ihre Emotionen mit einer umwerfend berührenden Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit verströmt, ist schon singulär. Stimmlich über jeden Zweifel an den immensen technischen wie musikalischen Ansprüchen erhaben, die Rossini an diese Partie stellt, mobilisiert DiDonato als begnadete Schauspielerin eine schier endlos nuancierende Mimik. Die spricht Bände über die Befindlichkeiten einer Liebenden, die hin- und hergerissen ist zwischen Pflichterfüllung und eigenem innerstem Gefühl. Just darum geht es in La Donna del Lago. Fügt sich Elena ihrem Vater Duglas d’Angus und seinem machtpolitischem Kalkül, sie mit Rodrigo, dem Anführer der Aufständischen zu vermählen? Oder folgt sie ihrer Leidenschaft und steht weiterhin zu ihrer Liebe zu Malcolm? Und was ist mit jenem „Uberto“, in Wahrheit König Jakob, der wie aus heiterem Himmel in ihr Leben tritt und sich unsterblich in sie verliebt? Macht, Herrschaft, verfeindete Clans, die sich bitter bekämpfen – ein Stoff, aus dem Rossini große Oper gemacht hat: eine vertrackte Beziehung mit Happy End.
Neben der grandiosen Joyce DiDonato sind es Juan Diego Florez (König Jakob) und John Osborne (Rodrigo), die sich als Rivalen stimmlich geradezu überbieten und die hohen Cs, mitunter auch Ds mit Grandezza von der Bühne schleudern. Dazu gibt ihnen Rossini jede Menge Gelegenheit. Daniela Barcellona komplettiert dieses vokale Gipfeltreffen in der Hosenrolle des Malcolm, den die Regie als wackeren Krieger ausstaffiert – und sie selbst mit einem satten, raumgreifenden Mezzo. Oren Gradus mit langem zotteligem Haar ist ein stattlicher Duglas d’Angus, der weiß, was er will.
Regisseur Paul Curran setzt in seiner Inszenierung auf viel Landschaftskolorit von musealer Wirkung. Wenig überzeugend seine Personenführung: es wird viel gestanden und an der Rampe gesungen. Frisch, quicklebendig und brodelnd dagegen zeigt sich das Metropolitan Opera Orchestra unter Michele Mariotti, der mit der Präzision eines Uhrwerks arbeitet, temperamentvoll und mit viel Gespür für die unterschiedlichsten Farben dieser Partitur.
Hätte Paul Curran auch Puccinis La fanciulla del West zu inszenieren gehabt, wäre ganz gewiss am Ende der Oper ein stattliches Pferd auf die Bühne getrabt – ein rettender Vierbeiner, auf dem Minnie und ihr Lover Dick Johnson gemeinsam in ein neues Leben reiten. Doch für das Finale seiner Inszenierung an der Wiener Staatsoper (Premiere: Oktober 2013 – genau einhundert Jahre nach der dortigen Erstaufführung) hat sich Regisseur Marco Arturo Marelli einen ganz anderen Clou einfallen lassen: die Zukunft für Minnie und Johnson beginnt... in einem Heißluftballon! Der schwebt in schönsten Regenbogenfarben vom Schnürboden herunter und anschließend wieder hinauf. Ein ziemlich kitschiges Bild, aber auch das einzig kitschige in dieser Produktion, die ansonsten durchweg ganz ohne Wildwest-Charme oder Cowboy-Attitüde auskommt. Statt kalifornischer Goldgräber sind es hier nicht eindeutig definierte, aber irgendwie bedauernswerte Menschen auf der Suche nach ihrem kleinen oder großen Glück, die vor Minnies fahrbarer Trinkhalle gern einen Brandy heben und Karten kloppen. Und Minnie? Mit Latzhose, kariertem Holzfällerhemd, rotkrausem Schopf und vor allem selbstbewusstem Auftreten wirkt sie wie die „Mutter der Kompanie“, vor der jeder noch so rustikale Malocher Respekt hat. Und so legt Nina Stemme ihre zentrale Rolle auch an: hart und harsch, wenn sie sich in der von Männern geprägten Lebenswelt durchzusetzen hat, weich und sensibel, wenn es um ihr Seelenleben geht. Das ist ein starkes Porträt! Gleiches gilt für Jonas Kaufmann, der als Dick Johnson sein Rollendebut gibt. Wie Stemme liefert auch er eine reiche Palette an Farben und Ausdrucksnuancen, spielt restlos überzeugend und glaubwürdig. Seinem vokalem wie optischem Charme kann man sich ohnehin nicht entziehen. Kaufmanns Gegenspieler: Thomas Konieczny als „Sheriff“ Jack Rance – er gibt einen knallharten Ober-Polizisten, der schon mal wild und wütend werden kann. Und dies mit markantem, sehr präsentem Bass.
Marellis detailreicher Inszenierung entspricht Franz Welser-Mösts mit dem Staatsopernorchester fein ausgearbeitete Umsetzung von Puccinis Musik, geprägt von schillernden Ganzton-Akkorden, die immer wieder faszinierende imaginäre Bilder entstehen lassen.