Pina Bauschs „Theater der Gefühle“
„Ich nehme die Dinge des Lebens sehr ernst,“ hat Pina Bausch, die Ikone des deutschen Tanztheaters (1940-2009), in einem Interview gesagt, aber wenig später auch bekannt, „ein unheimlich realistischer Optimist“ zu sein. Choreografin zu werden und an einem Theater zu arbeiten sei ihr nie in den Sinn gekommen, behauptete die Solinger Gastwirtstochter, die - wegen ihrer Gelenkigkeit von Theaterleuten als „Schlangenmensch“ tituliert - allerdings bereits mit sechs Jahren in Oper, Operette und Ballett statierte. Auch das also ein Widerspruch - genau wie die „optimistische“ Behauptung. Ihre Stücke, nach wie vor in Wuppertal und weltweit bei jeder Aufführung ausverkauft, verströmen ja doch trotz mancher humorvoller Passagen und Rollen eine bedrückende Tristesse.
„Alles, was ich mache, mache ich als Tänzerin - alles, alles“ steht als Motto über der Ausstellung, zu der dieser erste Band der „Pina Bausch Edition“ als broschierte Museumsausgabe anstelle eines Kataloges veröffentlicht wurde. In ihrem Stück Danzón, uraufgeführt 1995, verabschiedete sie sich als Tänzerin von der Bühne mit einem bewegenden Solo an der Rampe. Hinter ihr gleiten lautlos mit ruhiger Eleganz exotische Fische über die riesige Leinwand. Winzig wirkt die Tänzerin - fast wie die Silhouette eines Kindes, wie sie ganz in schwarz mit weichen Armschwüngen die lebensnotwendige Gelassenheit der Fische nachzuahmen scheint. Zwischendurch winkt sie mehrmals zum Abschied...
Ein Foto von diesem Solo ziert den schwarzen Einband des Buches auf der Suche nach der visionären Genialität, die „ganz aus dem Instinkt“ gespeist wurde, wie Bausch immer wieder betonte. Ihr neuer Stücktyp sei „einfach entstanden, war nicht geplant“. Sie sei „intuitiv und neugierig wie ein Kind“, bekannte sie gegenüber dem Journalisten Veit Mölter freimütig. Aber immer sei da ein Gefühl „ganz großer Verantwortung und Angst“ gewesen. Als sie 1973 den Ruf nach Wuppertal annahm und zehn Jahre später parallel die Leitung der Folkwang-Tanzabteilung, sagte sie nur: „Ich versuch' das“. Sie trat gegen die Routine an. „Niemand weiß mehr, warum macht man die Bewegungen? Da ist einfach nur noch so eine komische Eitelkeit, die sich von den Menschen immer weiter weg entwickelt,“ formuliert sie im Gespräch mit dem - leider inzwischen verstorbenen - führenden deutschen Tanzkritiker der FAZ, Jochen Schmidt. Dass sie in Wuppertal blieb, begründet Bausch damit, dass die bergische Stadt „so alltäglich, so schmucklos“ sei. Das tue „gut als Gegenpol zu den Reisen“, auf denen mit den weltweiten Kooperationen seit 1984 viele Stücke erarbeitet wurden.
Eine „leidenschaftliche Menschenbeobachterin“ sei sie gewesen, meint Tanzspezialist Norbert Servos. Nicht umsonst wurde Bauschs Ausspruch „Nicht wie sich Tänzer bewegen können, sondern was die Leute bewegt“ zum Leitmotiv ihrer Arbeit. Ihre Stücke seien „nicht zum einmal Gucken gemacht“, beharrte Bausch. Immer wieder müsse auch sie selbst sie sehen, um Teil davon zu bleiben - um ein Quäntchen Wahrheit in und über sich selbst zu entdecken. Dazu forderte sie auch die Zuschauer auf - und mit ihrer Probentechnik das Ensemble: sie stellte Fragen, die die Tanzenden mit Worten, Gesang oder einer kurzen Tanzsequenz beantworten sollten. So entstanden die über 40 revueartigen Stücke als Mosaiken menschlichen Fühlens. Als ein „Theater der Gefühle“ beschreibt die Berliner Journalistin Ingrid Seyfarth Pina Bauschs Werk.
Mit zwischengeschossenen Fotos und einem vielseitig informativen Anhang ist der unprätentiöse, vorzüglich gestaltete Band eine Bereicherung für das Verständnis der Persönlichkeit, Kunst und Arbeitsweise Pina Bauschs. Jährlich zwei Folgen der Edition sollen erscheinen in Form von Lesebüchern als „O-Ton“ von Tänzern und anderen Mitarbeitern, Filmfassungen der Stücke auf DVD und Fotobänden.