Vom schwierigen Finden einer Schauspielerpersönlichkeit und großartig verschrobenen Großeltern
„Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ lautet der Titel des jüngsten Buches von Joachim Meyerhoff. Der Schauspieler am Wiener Burgtheater hat mit diesem 348 Seiten starken Werk zum einen eine Abrechnung geschrieben über seine Ausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule und seine Schwierigkeiten, dort seine Schauspielerpersönlichkeit zu finden. Vor allem aber ist dieses Buch eine gewaltige Liebeserklärung an seine großartig verschrobenen Großeltern.
Welcher Opa und welche Oma würden sich nicht noch aus dem Paradies heraus freuen, wenn ihr Enkel viele Jahre nach ihrem Tod über sie schreibt: „Kaum, dass ich an sie denk, sind sie auch schon da, sitzen in ihren Sesseln und stoßen mit mir an. Verlässlicher Besuch aus dem Totenreich. Es kommt mir so vor, als würde es sie freuen, wenn ich mich an sie erinnere. Mit offen Armen empfangen sie mich und der Unterschied zwischen einem echten Besuch bei ihnen, als sie noch am leben waren und einem Gedankenbesuch verfliegt. Wie auch immer sie es geschafft haben, die Vergänglichkeit verschont sie und die Zeit trägt sie, wann immer ich es will, bereitwillig auf Händen zu mir. Ganz und gar lebendig.“
Meyerhoff ist 20 Jahre, als er - für ihn unerwartet - auf der Schauspielschule in München angenommen wird. Ein Zimmer findet sich nicht. Die Großeltern - Hermann und Inge - nehmen ihn bei sich auf. Was von seiner Seite als kurzfristige Zwischenlösung gedacht war, wird zu einer rund dreieinhalbjährigen Wohngemeinschaft, ohne die Meyerhoff vielleicht nie die Kraft gefunden hätte, seine Schauspielausbildung bis zum Ende durchzuhalten und auch die unendlich vielen Absagen nach Theater-Vorsprech-Terminen zu überstehen.
Inge - selbst eine gelernte Schauspielerin und langjährige Schauspiellehrerin - lebt mit ihrem zweiten Ehemann Hermann, einem früheren Philosophie-Professor - ein Leben mit Diskussionen, Musik, Spaziergängen und nicht zuletzt einem gewaltig hohen und regelmäßigen Konsum guter alkoholischer Getränke. Champagner zum Frühstück, Whiskey am Nachmittag und ab dann regelmäßig Rotwein. Die teils skurrilen Angewohnheiten, Gewohnheiten und Regeln der beiden nehmen den jungen Schauspielschüler im positiven Sinne „gefangen“. Während er in der Schauspieler-Schmiede Kritik über Kritik einsteckt und erleidet, erlebt er mit Inge und Hermann wunderbare Jahre des Zusammenseins und überlebt Zeiten der Demütigung und des Selbstzweifels.
Wer das Buch ausgelesen hat, wird lange Zeit dieses wundersame Wort „Moooahhhh...“, mit dem Inge Freude, Genuss oder Entzücken ausdrückt, lange Zeit in seinem Innern spüren. Und er wird sich hoffentlich vornehmen, die eigenen Enkel genauso ernst zu nehmen, wie es Inge und Hermann mit ihrem Joachim gemacht haben. Wunderschön übrigens auch der Name, den Inge ihm gegeben hat: „Lieberling“, sagt sie zu ihm, egal, ob sie sich mit ihm freut oder sich über ihn ärgert.
Und wer Meyerhoff - nicht erst in Wien, sondern schon in seinen Jahren im Kölner Schauspielhaus - erlebt hat, der wird kaum verstehen, warum ausgerechnet er es war, auf dem die Schauspiellehrer immer herumhacken mussten. Natürlich erfährt der Leser dieses Buches - so ganz nebenbei - auch etwas über die Schauspielausbildung und über die auch dort bestehenden Rituale, die jeder neu aufgenommene Jahrgang an Schauspielschülern über sich ergehen lassen und ertragen muss.
Man kann sich gut vorstellen, dass Meyerhoff - vielleicht in den Theaterferien - mit dieser Hommage an seine Großeltern auch mal auf Lesereise gehen wird. Den Abend sollte man sich dann auf jeden Fall dafür freihalten.