Aus den Memoiren eines Frauenhelden
Sein wahres Leben trug schon die Züge einer Operette und war voll von Affären und Abenteuern, von Duellen, Betrug und Hochstapelei. Und natürlich immer voller Frauen: Casanova – der päpstliche „Ritter des goldenen Sporns“, der Schriftsteller und Geiger, der Bibliothekar und Ganove. Albert Lortzing schrieb 1841 seine Casanova-Oper, Paul Lincke gut siebzig Jahre später eine Operette, die nach ihrer Uraufführung 1913 im Berliner Apollo-Theater nicht mehr häufig gespielt wurde und seit dem Zweiten Weltkrieg völlig von den Spielplänen verschwunden ist. Im Theater Nordhausen ist Linckes Dreiakter nun wieder ausgegraben worden und erzählt, wie Intendant Lars Tietje wohl zutreffend vermutet, erstmals seit 1945 wieder die Geschichte des venezianischen Frauenhelden.
Der sitzt, nachdem sich der Vorhang hebt, gerade im Knast. Aber das ist für ihn ja kein Grund, nicht auch dort zu flirten: Glutvolle Liebesbriefe tauscht er aus mit einer Frau, die er auf einem Maskenball getroffen hat und von der er nur ihre Augen kennt. Außerdem erteilt Casanova der Nichte des Gefängnisaufsehers Gesangsstunden – und gibt ihr währenddessen auch in ganz anderen Fächern intensiven Unterricht. Und er schafft es, für eine Nacht aus dem Gefängnis zu entkommen, um nicht jenen Ball zu verpassen, auf dem sein falscher Freund Cordini seine Verlobung bekannt zu geben gedenkt. Die Verlobte? Casanovas nächste Eroberung im Gewand eines spanischen Ritters! Das Chaos wird größer und schließlich perfekt, als sich herausstellt, dass die Frau mit den schönen Augen die Ehefrau des Gouverneurs ist. Das Ganze ist ein Hin und Her, ein Verwechseln und Verstecken – und am Ende kehren alle Frauen zu ihren Männern zurück, Casanova wird begnadigt. Eine Operette ist eben doch nicht ganz das wahre Leben!
Regisseur Wolfgang Dosch setzt den turbulenten Stoff in Szene. Er entscheidet sich für die konservative Variante und erzählt Casanovas Erlebnisse einfach ganz gerade heraus, verzichtet auf Aktualisierungen und lässt vor den Augen des Publikums eine Welt des 18. Jahrhunderts entstehen. Bernhard Niechotz baut ihm dazu ein unspektakuläres rustikales Gefängnis mit einer nach oben führenden Treppe – eine sehr praktikable Kulisse, die sich leicht in einen prächtigen Ballsaal mit Türen und Gängen verwandeln lässt, wie geschaffen für das listige Treiben, die großen und kleinen Intrigen. Niechotz entwirft herrlich bunte Rokoko-Kostüme und Bauernkittel. Das ist alles sehr nett anzusehen. Einen echten Glanzpunkt liefert nicht zuletzt die Ballettkompanie des Nordhäuser Theaters. Deren von Jutta Ebnother choreographierte Harlekinade gerät zu einem Höhepunkt dieser Inszenierung. Was da auf der Bühne an Vielfalt und Fantasie präsentiert wird, das ist aller Ehren wert. Und erst die Einlage vor dem dritten Akt! Die Nacht nach dem Ball, die Nacht vor jenem Morgen der großen Verwirrung: „Glühwürmchen, Glühwürmchen, flimmre...“ tönt es da bis hinauf in den 2. Rang des Theaters, Seifenblasen schweben durch die Luft, kleine Lichtpunkte kreisen umher. Ein Volltreffer der Regie, hier das zauberhaft arrangierte Glühwürmchen-Idyll aus Linckes 1902 komponierter Lysistrata quasi zu importieren.
Gründlich irritierende Momente hält das Casanova-Libretto, das Lincke zusammen mit Will Steinberg und dem Direktor des Apollo-Theater Jacques Glück geschrieben hat, nicht vor. Im Vordergrund steht allein die Komik, die Wolfgang Dosch aus der laufenden Handlung entwickelt - was ihm mitunter vielleicht eine Spur zu schablonenhaft gerät. Einmal zu oft wird da als Versteck der Wandschrank bemüht, einmal zu oft taucht Casanova aus dem Nichts als Latin Lover im Zorro-Kostüm auf. Und die schwule Überzeichnung des venezianischen Edelmanns Cordini ist zwar nicht maßlos übertrieben, nutzt sich aber dennoch im Laufe des Abends ein wenig ab.
Cordini alias Joshua Ferrier liefert eine darstellerische Meisterleistung, wie überhaupt vortrefflich gespielt und gesungen wird. Acht weitere größere und mittlere Partien sind da zu besetzen, wobei Nordhausen zurückgreifen kann auf ein kompetentes Ensemble: Sabine Mucke gibt die gestandene, gleichwohl neuem Liebesglück nicht abgeneigte Gemahlin des Kommandanten, Sandra Schütt die quirlige Nichte des daueralkoholisierten Gefängniswärters Francesco, den Michael Schober rundum überzeugend auf die Bühne bringt. Wieland Lemke, Mitglied des Thüringer Opernstudios, lässt seinen Bariton in der Rolle des Edelmanns Cornero verströmen, Brigitte Roth ist dessen Tochter, Marian Kalus der junge Narcisso. Für die Titelpartie bringt Aaron Judisch neben seinem feschen Aussehen viel Temperament, Dynamik und einen frischen, biegsamen Tenor mit. Eine durch und durch runde Sache also, bis hinein in die Nebenrollen.
Oliver Weder steht am Pult des Loh-Orchesters Sondershausen, das am Premierenabend im November 2011 bestens aufgelegt war. Linckes Partitur steckt zwar nicht so voller abwechslungsreicher Einfälle wie einige andere seiner Operetten, sind es in Casanova doch eher immer wieder die marschmäßigen Rhythmen und die süffigen Schlagermelodien, die das Musikalische prägen. Die aber werden in all ihrer Farbigkeit umgesetzt, akkurat bis ins Detail.