¡Tango! im Hannover, Staatsoper

Ordnung und Chaos - Strictly Tango?

Nein, der neue Ballettabend der Staatsoper Hannover bietet trotz seines Titels ¡Tango! nicht nur die zackig sinnlichen argentinischen Rhythmen, Schrittfolgen und Haltungen. Aber er beginnt immerhin mit dem Non plus ultra des neoklassischen Balletts, wenn von Tango die Rede ist: Hans van Manens Fünf Tangos. Unerreicht und faszinierend anzusehen sind immer von Neuem die distanzierte Strenge, absolute Präzision, geometrische Raumaufteilung, Besetzungsvarianten und Vielfalt von Posen und Schritten. Diabolisch wirkt in der Tat Denis Piza in Vayamos al Diablo. Rassig gibt er sich mit Catherine Franco in dem abschließenden Ensembletanz Buenos Aires Hora O. Vor allem bei den synchronen Passagen von Mort enttäuschte allerdings die Herren-Riege. Freilich: der mitreißende Charme dieser Choreografie ist nicht tot zu kriegen.  Was für ein Glück!

Strictly Tango nennt Ballettchef Jörg Mannes seine neue abstrakte Szenenfolge.  Das meint der Österreicher aber durchaus nicht ganz ernst. Denn sowohl seine Musikwahl als auch seine Choreografie sprengen den Rahmen bei weitem. In seinem Denken, Fühlen und Schaffen treten, gesteht er ein, „Ordnung und Chaos“ in einen kreativen Dialog. Klein und intim wirkt die Bühne zu Beginn, wenn Dennis Piza zu dem Violinsolo All in the Past des litauischen Komponisten Georgs Pelecis an der Rampe tanzt. Zu Piazzolla-Klängen weitet sich der Raum. Im hinteren Bühnenteil zelebrieren die langbeinige, geschmeidige Debora Di Giovanni und Patrick Doe eng ineinander verschlungen einen Pas de deux. In der Tango-Etude des argentinischen Bandoneon-Meisters können wiederum die Herren wenig überzeugen, wenn Akkuratesse gefragt ist. Eine geradezu gespenstische Note schleicht sich später ein. Frauen schieben sich lautlos  von beiden Seiten auf die Bühne, sehen ruppig brutalen „Zweikämpfen“  zu. In einer ausgelassenen, rassigen Ensemblenummer kulminiert das Ballett.

Samba statt Tango, Brasilien statt Argentinien ist Schauplatz der zweiten Uraufführung des Abends, Batacuda. Der Kanadier Kinsun Chan, der in USA und der Schweiz tanzte, bevor er vor allem in Deutschland als Choreograf reüssierte, hat sich zu der teils wilden Trommelmusik der gesanglosen Samba-Batucada eine Traumgeschichte ausgedacht, in deren Zentrum ein Junge (Demis Moretti) steht. Pappkartons als Behausungen wie in den einfachen Arbeitersiedlungen, den Favelas, türmen sich im Hintergrund zu einer mobilen Architektur-Landschaft. Braune und blaue Farbtöne changieren. Das alles wirkt merkwürdig unschlüssig zwischen Varieté und Märchen, in der Körpersprache wenig innovativ. Aber das Premierenpublikum fand’s ebenso hinreißend wie Mannes‘ Ballett.