Über das irdische und das jenseitige Glück
Nichts, aber auch gar nichts kann das junge Glück trüben: Wilhelm und Laura – seit zwei Jahren ein Paar. Er ein soeben zum Hofkapellmeister beförderter, also höchst erfolgreicher Musiker; sie seine ihn grenzenlos liebende Gattin, die kein Wässerchen trüben kann. Eitel Sonnenschein allüberall. Man kann sich sogar Dienstpersonal leisten. Und gerade hat eine nicht unbeträchtliche Erbschaft das Portemonnaie gut gefüllt. Aber wie das ja oft im Leben so ist: so viel Glück weckt die Neider auf den Plan. Und genau so ein Neider treibt den Ring des Polykrates voran, diese uralte, aber immer wieder neue Geschichte. Friedrich Schiller hat eine Ballade daraus gemacht, Erich Wolfgang Korngold eine Oper, die aber weniger auf Schiller als vielmehr auf ein Lustspiel von Heinrich Teweles zurückgeht. Das Theater Lübeck brachte Korngolds 1916 uraufgeführten Einakter auf die Bühne in Kooperation mit dem „Festival della Valle d’Itria“ im apulischen Martina Franca.
Kapellmeister Wilhelm Arndt ist – ohne es recht zu merken - aber auch wirklich schlecht beraten, als er auf seinen alten „Freund“ Peter hört. Das ist der Neider, der mit Nachnamen Vogel heißt und sich deshalb „Pech-Vogel“ nennt, weil ihm Ansehen, Wohlstand und Eheglück noch nicht zuteil geworden sind. Von einem lang anhaltenden Triller der tiefen Streicher und der Tuba begleitet, wird Wilhelm von Vogel dazu überredet, seiner Gattin Laura die sogenannte „Schicksalsfrage“ zu stellen: war da vor der Ehe was mit einem anderen? Eigentlich völlig unerheblich, findet auch Wilhelm, der ganz fest an seine Laura glaubt. Doch der einmal gesäte Samen des Zweifels fängt langsam an zu keimen und führt zu einer großen Szene – die allerdings nicht im Sinne Vogels ausgeht.
Nun gesellt sich in Korngolds Oper noch ein zweites, „niederes“ Paar hinzu: das der Bediensteten. Florian spielt Pauke und kopiert für seinen Herrn Hofkapellmeister Noten, seine Braut Lieschen ist Lauras Mädchen für alles. Und auch Florian meint, die Vogelsche „Schicksalsfrage“ stellen zu müssen. Dieser hatte ja die krude Devise ausgegeben: „Das Opfer ist im Glücke Pflicht“ (und bezieht sich direkt auf den antiken Stoff über das Schicksal des Tyrannen Polykrates). Auf Florians Verhör hin schleudert Lieschen einen Ring durch die Luft – und damit die Erinnerung an irgend einen Kanonier, eine längst verflossene Liebe. Ergebnis: Peter Vogel, dieser fiese und falsche Freund wird in hohem Bogen aus dem Haus geworfen. Ab sofort ist nur noch Glück.
Um Glück geht es auch in Ernst Kreneks Oper Das geheime Königreich, dem zweiten Teil der Lübecker Reise in die ersten zwanzig Jahre des 20. Jahrhunderts. Im Zentrum der König, der mit seiner Macht nichts Rechtes anzufangen weiß, dem die Krone nur Last ist. Die Königin dagegen hätte sie gern, die Macht. Kommt aber nicht an sie heran, weil der Hofnarr sie vom Chef („dem Popanz“) persönlich ausgeliehen bekommen hat. Und dann sind da noch die Revolutionäre aus dem Volk, die ihre Ansprüche auf Selbstverwaltung eher lustlos anmelden. Kreneks Stück von 1927, dezidiert als „Märchenoper“ bezeichnet, nimmt auch ein märchenhaftes Ende in einem imaginären Wald. Der Baum, an dem sich der des Lebens überdrüssige König erhängen will, entpuppt sich als seine verwandelte Königin-Gattin – was ihn nun zur Erfahrung wahren Glückes jenseits der Realität als Herrscher führt, ist der Blick auf die Schönheit der Natur. Machtausübung war seine Sache ja ohnehin nie gewesen.
Korngold und Krenek an einem Abend – die beiden Komponisten würden sich die Augen reiben. Schließlich repräsentierten sie – zumindest eine Zeit lang – ganz unterschiedliche künstlerische Lager: Korngold schrieb die Spätromantik fort, taucht den Ring des Polykrates in liebestrunkene Musik, in der Wagner und Strauss hörbar werden. Krenek ist schon auf anderen Wegen - eine spannende Gegenüberstellung, die aus heutiger Sicht und mit heutigen Ohren eigentlich unentschieden ausgeht. Beide Einakter sind lohnende Stücke, die Lübecker Inszenierung von Franco Ripa di Meana lässt daran keinen Zweifel. Er inszeniert Korngold als eine Art Experiment im Theater und findet für Krenek einfache, aber wirkungsvolle, sprechende Bilder.
Und die Inszenierung profitiert von der brillanten musikalischen Umsetzung: Anton Marik steht am Pult des hoch konzentrierten und hoch motivierten Philharmonischen Orchesters mit gediegenem Holz und Blech; auf der Bühne ausnahmslos bravouröse Stimmen: mit Hugo Mallet (als Wilhelm Arndt) und Daniel Szeili (als Florian und Revolutionär) zwei starke Tenöre, Ausrine Stundyte als hingebungsvolle Laura, Zuzana Marková in der Rolle der Königin, die als Protagonistin der royalen Ordnung „verstaubte“ Koloraturen zwitschert (und dies mit Perfektion!). Ihren Gatten gibt Antonio Yang und lässt seinen farbigen, ausdrucksstarken Bariton strömen, mimt im Ring des Polykrates auch den berechnenden Peter Vogel. Florians Braut Lieschen wird von Anne Ellersiek mit viel Spielfreude und Glanz in der Stimme ausgestattet. Gerard Quinn ist der quirlige und gewitzte Hofnarr im Königreich. Alles in allem eine runde, überzeugende, ansprechende Sache – und ein Plädoyer für zwei so gut wie vergessene Stücke Musiktheater.