Männerbünde
Ein edler Tempel, hell, wuchtig, Ehrfurcht erheischend. Ein Machtsymbol, ein Ort für große Gesten und Rituale, den Harald B. Thor da gebaut hat. Hier feiern die Gralsritter in Wagners Parsifal ihr Initiationsritual. Die Ritter in Helen Malkowskys Wagnerdeutung sind ein ganz handfester Männerbund, der auch ökonomische Interessen verfolgt. Auf den Altar dieses Tempels legen die Mitglieder dieses Männerbundes allerlei Attribute ihrer Zünfte: Baupläne, Forschungsinstrumente, wissenschaftliche Apparate und Anlagen.
Doch etwas scheint hier nicht zu stimmen. Ein paar auf den Bühnenvorhang projizierte Blutspuren deuten unzweideutig schon während des Orchestervorspiels darauf hin. Amfortas, der Chef des Kollektivs, das diesen Tempel bewohnt, leidet unter einer Wunde, mit ihm alle anderen. So muss der todkranke Titurel selbst noch einmal das lebensspendende Ritual vornehmen, ein letzte Demonstration der Stärke: Blut tropft ganz langsam aus dem Gral und überzieht eine Weltkarte – Männerbünde haben überall die Macht.
Malkowsky findet starke, treffende Bilder für diese Welt, nutzt dabei Videoaufnahmen, um diese zu transportieren, bleibt aber immer sehr zurückhaltend: nirgends sind diese Einspielungen aufdringlich oder reiner Selbstzweck: wenn sich etwa aus Dürers Betenden Händen ein Kelch für Blut formt, später ein Gefäß für einen Scheiterhaufen, dann ist das alles ganz klar und nachvollziehbar.
Das ist eigentlich überhaupt das zentrale Moment an diesem Parsifal: die Gelassenheit und Transparenz, mit der Helen Malkowsky ihre Gedanken ausbreitet und diese mit großer Stringenz zu Ende führt. Wie sie Kundry als weiblichen Gegenentwurf zu diesem Männerbund aufbaut. Dort die Riege der Männer, hier das weltwandernde Individuum, das letztlich in keiner der Welten zu Hause ist. Weder bei den Gralsrittern, denen sie nur aus wahrer Liebe zu Amfortas dient; noch in Klingsors Welt, der im Matrosenhemd pubertierenden Fantasien unter einem riesigen viktorianisch-strengen weiblichen Monument nachhängt. Hier ist Kundry Gefangene dieses prüden, starren Frauenbildes.
Am Ende scheint so etwas wie Versöhnung möglich: Parsifal findet in Kundrys Mantel den Weg zur Gralsburg, schwingt sich dann aber so gleich zum Herrscher auf und will sie durch die Taufe unterjochen. Kundry lehnt ab, schichtet sich selbst einen Scheiterhaufen und wird verbrannt – eine Außenseiterin in der Männerwelt. Zurück bleibt Amfortas, der ihrer Asche sammelt und das Scheitern seines Lebens und seiner Liebe eingestehen muss.
In Kassel wird eine bestechende Parsifal-Deutung gezeigt, in der es um den Titelhelden eigentlich gar nicht geht. Und gerade der sorgt in Gestalt von Christian Elsner für den gesanglichen Höhepunkt der Premiere. Das ist sehr eindrucksvoll, mit welcher Mühelosigkeit er durch die Partie gelangt, mit welcher Präzision seine Töne anspringen. Das klingt alles so selbstverständlich und natürlich.
Ursula Füri-Bernhard ist Kundry, sie lebt und spielt absolut authentisch. Und ihre darstellerische Rollenauffassung korrespondiert mit der gesanglichen. Füri-Bernhard platziert schrille Ausbrüche und lässt auch brüchige Töne zu. So beglaubigt sie die Zerissenheit Kundrys.
Mario Klein als Gurnemanz ist ein stimmlich ausgewogener, wohltönender Moderator, der seine großen Momente im dritten Akt nutzt. Espen Fegrans Amfortas ist eher melancholisch, hat mit der Macht abgeschlossen und sehnt sich nach Kundry, während Marc-Olivier Oetterlis Klingsor recht blass bleibt. Krzysztof Borysiewicz nutzt seinen raumgreifenden Bass, um die Altersautorität Titurels ganz zu entfalten.
Harmonisch mischen sich die Stimmen der Blumenmädchen und Knappen. Und auch Marco Zeiser Celesti hat seine Chöre bestens vorbereitet. Alle schaffen einen musikalisch beglückenden Abend, zu dem das Staatsorchester Kassel einen großen Beitrag leistet. Patrik Ringborg entfacht rundherum großen Wagner-Zauber, der sich perfekt mit den Stimmen auf der Bühne mischt.
Völlig überflüssig allerdings der erbetene Applausverzicht nach dem ersten Akt. Eine derartig geerdete, weltlich-antispirituelle Parsifal-Sicht hätte keiner ehrfurchtsvollen Andacht bedurft, stattdessen auch schon nach dem ersten Teil beklatscht werden dürfen. Das holt das Publikum am Ende Gott sei Dank gebührend nach.