Übrigens …

Elektra im Staatstheater Nürnberg

In Agamemnons Schrottauto

Als seine erst dritte Operninszenierung stellte Georg Schmiedleitner, Schauspielregisseur und designierte Regisseur eines neuen Nürnberger Ring-Zyklus, eine in ihrer Bildwelt ungewöhnliche, aber gleichwohl rundweg überzeugende Neusicht auf Richard Strauss’ vierte Oper dar.

Elektra, die am Nürnberger Opernhaus unter dessen langjährigem musikalischen Chef, dem Clemens Krauss-Schüler Hans Gierster, sehr viel stärker gekürzt erklungen war, wird – mit vergleichsweise wenigen Strichen – unter der musikalischen Leitung des neuen GMD Marcus Bosch zu einem Erlebnis von niederschmetternder Gewalt.

Bosch muss sich dabei in der Klangwucht kaum zurückhalten, da ihm mit der britischen Sopranistin Rachael Tovey eine Protagonistin zur Verfügung steht, die Strauss’ gewaltige vokale Exzesse mit schier unerschöpflicher Wucht herausschmettert, aber auch über berückende Piani verfügt, sobald dies die Partitur einmal gestattet.

Und Bosch kostet die Amplituden der im Jahre 1909 entstandenen Komposition voll aus, eruptiv, aber auch mit süffig nachromantischer Emphase. Die Staatsphilharmonie Nürnberg spielt unter seiner Leitung in Bestform.

In der Interpretation von Georg Schmiedleitner spielt die Geschichte der rachevollen Atridenclans heute. Der Hinterhof des Palastes von Argos ist ein weißes Bunker-Karree mit Blutspuren der Macht, Türöffnungen auf zwei Etagen und einem kinetischem Gegenlichtquader (Bühne: Stefan Brandtmayr).

In dem mit Kerzen und Blumen geschmückten Schrottauto des von Mutter Klytämnestra und deren Liebhaber Ägisth ermordeten Vaters hat sich Elektra eingenistet. In des Wortes wahrstem Sinne will sie die Luxuskarosse verflossener Tage versilbern – mit Leim und Blattsilber. Das Rachebeil hat Elektra in einem Punchingball versteckt. Elektras einzige Sympathisantin unter den Mägden wird von deren Kolleginnen auf dem Kofferraum der Karosserie mit Leim sadistisch heimgesucht. Während Orest im Militarylook offenbar direkt aus einem östlichen Krisengebiet kommt, sind die Menschenopfer, die Klytämnestra zugunsten guter Träume bringt, gleichermaßen archaisch, wie heutig: nackte Männer mit Stierköpfen werden von Frauen mit Beilen vor sich her getrieben.

Chrysothemis, die sich die Erniedrigungen durch ihre Schwester mit breit gespreizten Schenkeln masochistisch gefallen lässt, ist permanent hin- und hergerissen zwischen den Fronten der Herrschenden und dem Mitgefühl für ihre Geschwister. Im modischen Kostüm, mit Handtäschchen, erscheint sie auch farblich als deplatzierte Fremdzelle im Orkan der Rache. Da sie im Vorfeld keine eindeutige Position bezogen hatte, wird sie am Ende von Orest erschossen. Walzer tanzend verenden die blutigen, halbnackten Angestellten der Upper Class, während die Karosserie, wie ein verblutendes Tier, hoch gehievt wird. Elektra aber bricht, mehr zuckend als tanzend, vor Erschöpfung tot zusammen. Im Gegenlicht überlebt der Rächer, Orest.

Neben der überragenden Sängerpersönlichkeit von Rachael Tovey haben es die Kollegen schwer, mitzuhalten, so Richard Kindley als Transvestit Ägisth und Mardi Byers als Chrysothemis. Im Sinne der szenischen Interpretation gestaltet Jochen Kupfer den Orest manisch, belcantistische Momente sind nur als ferne Erinnerung an eine frühe, scheinbar heile Kindheit am Platz. Krankhaft, trotz jugendlicher Attitüde, und stimmlich eher zurückgenommen gestaltet Daniela Denschlag die Klytämnestra. Vokal und im Spiel zu überzeugen vermag das Quintett der Mägde, mit Teresa Erbe, Eleonora Vacchi, Lela Pfister, Leah Gordon und Elisabeth Meier.

Emotional aufgeheizt von dieser stets spannenden, mit überzeugender Personenführung operierenden Produktion, bricht am Ende der dritten Aufführung ein Publikumsjubel aus, wie er in der Regel wohl nur nach Premieren zu erleben ist.