Zwischen großer Oper und absolutem Kitsch
„Aber der Richtige...“ – auf den wartet Arabella natürlich, hat sich in ihren Jungmädchenträumen ein genaues Bild von ihrem Traumprinzen gemalt. Doch leider wird nicht viel nach Träumen gefragt in einer durch und durch vom Geld bestimmten Welt. Arabella soll von ihren verarmten Eltern meistbietend verscherbelt werden – so war das in der walzerseligen Habsburger Monarchie. Aber weil wir es mit einer Komödie zu tun haben, „geht sich das Ganze nicht allzu arg aus“ und das Happy End folgt unweigerlich.
Es ist schon eine ziemliche Gratwanderung, die Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal in ihrer Arabella beschreiten, immer haarscharf an der Kitschgrenze entlang. Arabella weist Charakterzüge auf von Hedwig Courths-Mahlers gehorsamer Bettelprinzeß genauso wie von Frank Wedekinds anarchischer Lulu. Am Ende aber ist der Griff zum Taschentusch programmiert. Und man fragt sich: Wie zur Hölle schaffen Strauss und von Hofmannsthal, diese beiden Scharfzüngigen das immer wieder?
Es ist sicherlich viel darin begründet, dass hier vor allem das Ineinandergreifen von Text und Musik im gemeinsamen Schaffen von Dichter und Komponist einen Höhepunkt erreicht: Wie banale Gedanken, tiefgreifende Liebesschwüre und Selbstmorddrohungen gleichermaßen ernstgenommen und musikalisch ebenbürtig umgesetzt werden, das ist schon faszinierend, mitnehmend und ergreifend.
Karsten Wiegand greift in Weimar auf ein Bühnenbild von Christoph Ernst zurück, das dieser für den Regisseur Jim Lucassen entworfen hat. Lucassen konnte die Inszenierung aus familiären Gründen nicht zu Ende bringen, und so hat Hausherr Wiegand sich der Arabella angenommen.
Auf der Bühne finden wir ein Treppenhaus, das keines ist. M. C. Escher hat da offensichtlich Pate gestanden: Stiegen finden sich da, die ins Leere laufen, Räume, die um neunzig Grad gedreht sind, da sind liegende Türe, die nur durch seitliches Durchrobben zu durchqueren sind. Dieses verdrehte Haus ist ein Sinnbild für die finanzielle Schieflage der Familie Waldner – hopp oder top gilt es bei der Vermählung der Tochter, die einfach reich heiraten muss, um die Familie zu ernähren.
Das ist aber auch die einzige Inszenierungsidee, die Wiegand erkennen lässt. Er versteckt sich hinter dem mit enormem Aufwand hergestellten Bühnenbild, verzichtet weitestgehend darauf, eine eigene Handschrift zu entfalten, was diese Arabella seltsam uninspiriert daher kommen lässt, weder Fisch noch Fleisch. Das ist aber vielleicht nicht nur Wiegand zuzuschreiben, sondern dem Stück inhärent.
Ansonsten bemüht Wiegand sich, möglichst sängerfreundlich zu gestalten - und das gelingt! Im Wesentlichen spielt sich alles an der Rampe ab. So wird der Faschingsball an einer großen Tafel gefeiert, die die ganze Länge der Bühne einnimmt. Und auf dem Tisch tanzt die Fiakermilli. Allerdings bleiben bei einer derartigen Beschränkung eine gelungene Personenführung und eine Ausdeutung der Charaktere auf der Strecke.
Und dennoch: Weimars Arabella bietet einen sehr gelungenen Opernabend. Das liegt an der musikalischen Qualität, die das Nationaltheater zu bieten hat. Larissa Krokhina beherrscht die Titelpartie. Sie singt süß mit tollem Piano in den höchsten Höhen von ihrem Traummann, ist hingegen ruhig und beherrscht, wenn sie zu Unrecht der Untreue bezichtigt wird. Und ihre Stimme mischt sich ganz toll mit dem klaren Sopran Heike Porsteins, die die Zdenka singt. Das erzeugt echte Gänsehautgefühle in den ohnehin zu den Höhepunkten zählenden Duetten dieser beiden Schwestern. Doch auch der Gast aus dem Essener Aalto-Theater fügt sich hier ganz prima ins Ensemble: Heiko Trinsinger hat genau den richtigen Bariton für den Mandryka – farbenreich und ausdrucksstark. Harrie van der Plas, der Konkurrent des Mandryka, wirkt zu Beginn reichlich gepresst, dreht seinen standfest-sicheren Tenor dann im dritten Akt voll auf. Sonor Patrick Simper als spielsüchtiger Graf (mit eindeutiger Kriegsverletzung); Veronika Waldner mit einem Mezzo, der eine Luxusbesetzung für die Gräfin Adelaide ist. Beide beschwören längst vergangene goldene Zeiten der Familie Waldner herauf. Das muntere Trio der Verehrer Arabellas wird von Szabolcs Brickner (Elemer), Gonzalo Simonetti (Dominik) und Andreas Koch (Lamoral) mit Leben erfüllt.
Michalina Bienkiewicz ist Mitglied des Thüringer Opernstudios. Bei ihrem Tanz auf den Tischen als Fiakermilli gerät sie weder auf der schmalen Fläche ins Stolpern, noch bei den halsbrecherischen Koloraturen, die sie sicher in der Kehle hat. Bravo!
Stefan Solyom leitet die Staatskapelle Weimar zu einer wirklich tollen Leistung. Die ganzen Finessen der komplizierten und rhythmisch vertrackten Partitur macht er erfahrbar, ohne je undefinierbare Klangwuchten aufzutürmen. Man kann baden in Walzerseligkeit, großen Gefühlsausbrüchen, aber auch in Angst und Zweifel. Insgesamt eine ganz starke Nummer zwischen großer Oper und absolutem Kitsch.
Die musikalische Qualität hat sich nach der Premiere im beschaulichen Weimar offensichtlich schnell herumgesprochen, denn die Schlange an der Abendkasse war bei der ersten Repertoirevorstellung erfreulich lang - und so fing der Abend eben etwas später an.