Übrigens …

Candide im Amphitheater Hexenkessel im Montbijoupark Berlin

Die Titelrolle konzertant

Preußen und Deutschland feiern den 300. Geburtstag Friedrich des Großen. In Berlin erklangen auch diverse eigene Kompositionen des großen Fritz, Orchesterwerke nicht nur für Flöte, sondern im Konzerthaus auch eine Symphonie, in welcher der Monarch mit seinem Hofkomponisten Carl Heinrich Graun um Originalität wetteiferte.

Besonderes Licht fällt im Friedrich-Jahr auch auf den königlichen Freund und Diskussionspartner François Marie Arouet (1694-1778), der unter dem Namen Voltaire des zum meistgelesenen und einflussreichsten Autor der europäischen Aufklärung wurde. Ab dem Im Sommer 1750 wirkte Voltaire auf Einladung Friedrichs für gut ein Jahr als Königlicher Kammerherr am Hof in Potsdam.

Der im Jahre 1759 anonym erschiene satirische Roman Candide ou l'optimisme nimmt insofern eine besondere Stelle ein, als er auch wiederholt dramatisiert wurde.

Die Liebesgeschichte des ungleichen westfälischen Schülerpaars Candide und Cunegonde am Hof von Dunnerstronkhausen ist eine Weltreise über die Schauplätze Lissabon, Paris, Buenos Aires, Montevideo, Konstantinopel, Neu-Westfalen in der neuen Welt und Venedig. Leichter als in einer der vier Versionen von Leonard Bernsteins Oper Candide, mag die vielschichtige Handlung auf einer Schauspielbühne zu vermitteln sein.

Das Berliner Hexenkessel-Hoftheater, das im Winter in der „Märchenhütte“ im Montbijoupark diverse Märchen psychologisch ausdeutet und in drastisch zugespitzter Form für ein erwachsenes Publikum interpretiert, spielt am selben Ort im Sommer, in einem dem Globe-Theater nachempfundenen, hölzernen Amphitheater Werke von Shakespeare und Goldoni – und in diesem Jahre auch Voltaires Candide.

Der Berliner Premiere vorausgegangen waren zwei Aufführungen im Schloss Schwante. Bei einer dieser Aufführungen war der Darsteller der Titelrolle, Thorbjörn Björnson, auf den Rücken gefallen, so dass er seinen Part in der Berliner Premiere, auf einem Stuhl sitzend, nur rezitieren konnte.  Während man in solchen Fällen in der Oper die Partie in einen Sänger und in einen Akteur aufteilt, ist der gänzliche Verzicht auf das Spiel des Hauptdarstellers im Genre Schauspiel mehr als gewagt und fragwürdig. Insbesondere dann, wenn sich in der Aufführung – wie hier in der Regie des Bearbeiters Alberto Fortuzzi – das Darstellungsmittel der Commedia dell’Arte nicht einlöst, sondern nur dazu dient, die Mehrfachrollen des achtköpfigen Ensembles hinter grotesk überzogenen Masken zu verstecken. Da wird von den Sängerdarstellern in der Staatsopernproduktion der Bernstein-Oper erheblich mehr an schauspielerischen Leistungen, bis hin zu akrobatischen Kletterkünsten, geboten.

Hinzuerfunden ist ein Prolog, in dem Voltaire (Christian Schulz) Friedrich dem Großen sein neues Stück dediziert.

Die grob gestrickte Bilderfolge enthält sehr skurrile Momente, wie Candides eifersüchtigen Mord an einem Erzbischof und an einem Juden (in Fortuzzis Berarbeitung heißen sie „Prediger“ und „Kaufmann“), als den Freiern seiner aus Luxussucht zur Dirne gewordenen Conegonde.

Entgegen dem Programmzettel, auf dem noch „Nacht Frau 1, „Nackte Frau 2“ und zwei Affen aufgeführt sind, verzichtete die Aufführung dann doch auf jene groteske Szene, in welcher Candide zwei Affen erschießt, da er zu spät erkennt, dass die beiden Tiere zwei nackte, junge Mädchen nicht bedrohen, sondern deren veritable Liebhaber sind.

Aber auch zahlreiche heitere Momente, wie das Ohrfeigen eines ungelehrigen Papageis durch die Old Lady (hier „Die Alte“) bleiben im nicht besonders heiteren Spiel unberücksichtigt.

Die sich in ihrer optimistischen Deutung der „besten aller Welten“ ähnlichen, aber bei Voltaire doch unterschiedlichen Philosophen Pangloss und Martin sind hier eine Person: Candides Lehrmeister, der sein Erhängen doch überlebt hat, wird von Michael Schwager beweglich und mit stimmlichen Nuancen deklamiert. Zu den schauspielerisch überzeugenden Momenten gehört die groteske Darstellung des Gouverneurs (Thorsten Junge).

Freude im Spiel bereiten Sara Löffler als unmaskierte, naiv verführerische Cunigonde und Anja Pahl mit sprachlichen Facetten als deftig ordinäre Alte. Für besonderen Farbenreichtum, vom Klappern der Hufe mit Kokosschalenhälften, über mit der Klarinette erzeigten Geräuschen, bis hin zu schwungvoller Begleit- und Umbaumusik Musik sorgen die als Clowns geschminkten Instrumentalisten Oleg Nehls und Arnold Duvaux.

Das Publikum des – wohl aufgrund der Fußball-EM – nicht ausverkauften Theaters dankte mit freundlichem Applaus.