Zähe Romantik und expressive Härte
Leos Janácek hat Konjunktur. Regelmäßig werden die Opern des mährischen Sprachmelodikers aufgeführt, seien es die großen Frauendramen Jenufa oder Katja Kabanova, sei es das düstere Straflagerpoem Aus einem Totenhaus. Und natürlich: Das schlaue Füchslein hat ebenfalls festen Platz im Musiktheater-Repertoire, jenes Märchen, in dem die Tiere auch nur Menschen sind. Die Frage ist indes, inwieweit Janáceks Hinwendung zur Natur, zur Mystik des Waldes und seiner Bewohner mehr ist als eine nett zu illustrierende Geschichte, oder als eine romantische Oper, die des Publikums Seele umschmeichelt.
Antworten darauf haben nun in München gleich zwei Füchslein-Inszenierungen gegeben. Im kleinen Cuvilliés-Theater, einem güldenen Schatzkästlein, zeigt David Bösch ein herb expressionistisches Stück, das mit lauter kleinen Dramen durchsetzt ist. Das Staatstheater am Gärtnerplatz wiederum findet in Rosamund Gilmore eine Regisseurin, die Romantik meint, ihr aber nicht traut, die sich in mehr oder weniger mechanische Bewegungsabläufe flüchtet, die Stimmungen illustrieren sollen.
Beide Deutungen mögen ihre Berechtigung haben, doch wo Bösch unbarmherzig in den Seelen herumbohrt, kratzt Gilmore stark an der Oberfläche. Ihr Ansatz, dass der Mensch das Tier domestizieren will, findet immerhin in dem riesigen Schulklassenraum, den Carl Friedrich Oberle auf die Bühne gewuchtet hat, eine optisch gewichtige Entsprechung. Dass die Figuren darin allzu klein wirken, mag Symbol sein für schwache Charakterzeichnung.
Die Räume, sie könnten unterschiedlicher kaum sein. Dort der gewaltige, mit Bäumen durchsetzte Saal, hier, bei Bösch, kreuz und quer vernagelte Bretter, die einen Verschlag begrenzen, der als Obdach der Försterfamilie dient. Überall tote Tiere, also Jagdtrophäen. Die Ausstatter Patrick Bannwart und Falko Herold zeigen prekäre, beklemmende Verhältnisse.
Doch wenn sich das Zaungebilde gen Himmel hebt, den Blick frei gibt auf das weite Land der Tiere, auf ein schimmerndes Sternenzelt, lässt uns Bösch für Momente erkennen, dass in dieser Janácek-Oper doch jede Menge Poesie steckt. Und wir blicken in eine Welt, die uns schön und frei erscheint. Die Regie aber entlarvt die Illusion schnell. Denn alsbald wird klar, dass selbst die glücklich scheinenden Kreaturen nur einsame sind. Das gilt für Tier wie Mensch – und so hebt Bösch die Grenze zwischen ihnen auf, im Dienste einer Weltsicht, die eher düster zu nennen ist.
Das macht sich an den Charakteren fest. Der Förster als Macho, der Frau und Kinder nicht achtet, den Hund malträtiert, sich am Füchslein vergeht. Peter Mazalán gestaltet seine Rolle mit markanter, hochemotionaler Stimme. Der raue Kerl hat indes ein einsam Herz. Er leidet wie seine Saufkumpane, die einer verlorenen Liebe nachtrauern. Der Pfarrer (klar artikulierend: Tareq Nazmi) geißelt sich selbst, der Schulmeister (tenoral berührend: Dean Power) ergeht sich in romantischer Fantasie.
Iulia Maria Dan singt das Füchslein, ihre Stimme changiert geschickt zwischen Reinheit und glutvoller Emphase. Sie darf die Liebe entdecken – ihre Szene mit dem Fuchs Goldrücken (Stark: Golda Schultz) gerät dabei fast übertrieben exaltiert –, aber auch die Einsamkeit einer in die Jahre gekommene Beziehung.
Bei Rosamund Gilmore, in der Koproduktion Gärtnerplatztheater/Theaterakademie und Hochschule für Musik und Theater, gibt es diese Probleme nur in angedeuteter Form. Sie erzählt eine Geschichte im großbürgerlichen Ambiente, ohne Brüche oder überraschende Wendungen. Einzig manch traumtänzerische Szene, vor allem die des unglücklich verliebten Schulmeisters (wunderbar melancholisch: Cornel Frey), vermag zu berühren. Maria Celeng wiederum singt das Füchslein in eher herber Manier, Derrick Ballard (Förster) bietet wuchtiges Volumen.
Interessant ist nicht zuletzt die Orchesterbehandlung. Während nämlich in David Böschs Inszenierung eine Kammerformation Janáceks Musik so pointiert wie expressiv interpretiert (Leitung: Christopher Ward), erklingt zu Rosamund Gilmores Deutung große romantische Klangfülle (unter Andreas Kowalewitz). Allemal also zwei Varianten, deren Vergleich sich lohnt.
Bayerische Staatsoper/Cuvilliés-Theater: Premiere 11. Juni 2012, besuchte Vorstellung: 18. Juni 2012
Staatstheater am Gärtnerplatz: Premiere (und besuchte Vorstellung) 19. Juni 2012