Übrigens …

Der Schatzgräber im Amsterdam, De Nederlands Opera

Psychedelischer Farbenrausch von Blut und Kosmos

Zwischen dem Jahr der Uraufführung und 1932 brachte es Schrekers psychologische Märchenoper auf 385 Aufführungen an fünfzig Bühnen. Das im ersten Weltkrieg entstandene, im Mittelalter angesiedelte Bühnenwerk über ein bedrohtes Königtum siedelt der niederländische Regisseur Ivo van Hove in der Gegenwart an und verweist damit auf die Kunst als einzig mögliche Rettung politischer Probleme. Ein derartiger Konzeptionsansatz schlägt bewusst auch den Bogen zu Richard Wagners Kunstreligion. Und als einen „neuen Parsifal“ hatte Schreker selbst seine Opernhandlung vom „selbstlosen Toren“ gedeutet; all zu gerne wäre der Freund der Armen und Weiber ein Egoist: „mir selbst das Leben, mir selbst die Freude!“.

Aber auch die weibliche Spiegelung von Lohengrins Frageverbot greift Raum, denn Els opfert Schatz und Gesundheit für den geliebten Elis, dem sie auferlegt hat, „nie mich zu fragen, wie alles kam, mich nie zu quälen mit kränkendem Argwohn“.

Die erst dritte Operninszenierung van Hoves schlägt den Bogen zu Filmhandlungen von David Lynch, vermag aber in der Personenführung nur partiell zu überzeugen.

Zwei parallele Bühnen in Häuschenform ergänzen den stumpfen Winkel der Bühnenfläche von Jan Versweyveld. Lichtreklame benennt die barartige Kneipe von Els’ Stiefvater als „Elster“ – offenbar assoziativ zum „Alster“-Bier einerseits und der diebischen Elster zum Anderen.

Die Visualisierung der Psychologie der handelnden Personen und die in dieser Partitur dominierende Erotik in vielerlei Brechung überlässt der Regisseur primär dem Film.

Während eine Projektion des Waldes webend durch das Glasfenster schimmert, wird die gesamte Bühne bei Elis’ Träumen zur Filmeinwand. Doch nicht die Inhalte von dessen besungenen Traumerzählungen werden in den Filmen von Tal Yarden wiedergegeben; erzählt wird von der erwachenden Sexualität eines jungen Mädchens, das vor Schlägen und häuslichem Unfrieden sie in den Wald flieht. Schmuck wird ihr zum Ersatzobjekt für Partnerschaft. 

Die vom Komponisten breit geschilderte Liebesnacht im dritten Aufzug wird auch filmisch bebildert: das Mädchen ist zur jungen Frau gereift und reitet in einem ästhetisch reizvollen Soft-Porno auf ihrem Partner. Während Schrekers Bühnenvision von einer nur mit dem geraubten Schmuck der Königin bekleideten Els ausgeht, die sich mit dem Schatzgräber vereinigt, sind hier die Protagonisten bis auf wenige Momente separiert oder schlafen, während der Sexualakt groß und deutlich hinter ihnen als Filmhandlung stattfindet. Der wie in keiner anderen Partitur des Musiktheaters musikalisch exzessiv geschilderte, mit der musikalischen Bezeichnung „orgiastisch“ überschriebene Orgasmus löst im Film einen psychedelischen Farbenrausch von Blut und Kosmos aus, ist zugleich auch Befruchtungsvorgang, gefolgt vom Reifen des Embryos und frühen Baby- und Kinderbildern jenes Mädchens, das dann seinerseits seine Pubertät intensiv körperlich erlebt.

Auch die Schlusssequenz der Oper gehört dem Film: Els verlässt das Geviert eines grünen Holzhauses, in welchem sie an der Seite des Narren vegetiert hatte, und tritt in die Videoprojektion ihres Traumbildes, des Mädchens mit dem von ihr erträumten, „schneeweißem Ross“, erlöschend, endend im Exitus.

Leider wenig hilfreich für das Verständnis der vom Komponisten besonders differenziert gezeichneten Nebenrollen sind die Kostüme von An D’Huis. Während die stumme Königin Fabiola zum Vorbild hat, erscheinen die der Els hörigen Männer, der Vogt und der (als rothaarig besungene) Knecht Albi, geradezu als Doppelgänger. Undifferenziert die Gesellschaft im Wirtshaus, inklusive dreier Transsexueller, die Gruppen der Schaulustigen bei der Exekution und das Volk vor dem Königsschloss. Auch Elis’ Erscheinung, mit Schlangenlederjacke, entspricht nicht im Entferntesten der besungenen Schilderung des Schatzgräbers. Und da der Narr, im Anzug und mit Stock, hier nie „die Narrenkapp’ – und das Schellengewand“ trägt, ist dessen Alterungsprozess nicht darstellbar. Statt dessen setzt das Regieteam mit Beginn des vierten Aktes ein kollektives Altern ins Bild: auch der König und die Gesellschaft können sich nur noch mit Gehhilfen bewegen.

Klanglich imposant der von Alan Woodbridge einstudierte Chor, in einer Zuschauerbox gegenüber der Todeszelle.

Profilierte Leistungen in prononcierter stimmlicher Gestaltung bieten Kay Stiefermann als Vogt und Graham Clark (wenn auch im Schlussakt hörbar angeschlagen) als Narr. Die balladeske Figur des fahrenden Sängers und Schatzgräbers Elis erfordert eine Mischung von heldentenoraler Verve und der Fähigkeit zu beseeltem Liedgesang. Diese sehr anspruchsvolle und umfangreiche Titelpartie bewältigt der amerikanische Tenor Raymond Very bravourös, mit klarer Diktion und intensiv in der Gestaltung, nur wünschte man sich in seinen Erzählungen mehr Legatobögen.

Mit einschlägiger Kieler Schreker-Erfahrung verkörpert Manuela Uhl die weibliche Hauptpartie, die hier kaum die psychisch gebrechliche Jungfrau und Wunderblume ist, als vielmehr ein Sex-Luder im Minikleid. Trefflich gelingt Uhl das berühmte Wiegenlied der Els im dritten Akt, das sie im Piano hält, während ihre dramatischen Ausbrüche häufig all zu scharf geraten. Mangelnde Textverständlichkeit, Vokalverfärbungen und häufige Intonationsprobleme trüben den Genuss.

Als Assistent bei Gerd Albrechts stark gekürzter Hamburger Schatzgräber-Produktion wurde Marc Albrecht im Jahre 1989 von Franz Schrekers Klangkosmos infiziert. Das in Hamburg Versäumte wollte er nun nachholen und die Partitur strichlos in vollem Glanz erstrahlen lassen. Von einem kurzen Strich (Männerchor hinter der Szene im 2. Akt) abgesehen, gelingt ihm sein Plädoyer für diese Oper, exstatische Sinnlichkeit bei gleichzeitig klarer Analyse. Der sich von Wagner herleitende Anarchismus der Singstimmen gegenüber dem Orchester wurde in keiner anderen Schreker-Aufführung der letzten Jahre so deutlich wie unter Marc Albrecht, wo die Soli quasi frei über dem Orchester schweben, während sich diese bei den eigenen Interpretationen des Komponisten klanglich inmitten des Orchestersatzes bewegten. Jenseits der thematischen Hauptstrukturen verleiht Albrecht Nebenfiguren Wichtigkeit, kehrt aber auch Allusionen deutlich hervor: so ist etwa das abgerissene Dresdener Amen – als Parsifal-Bezug – vor dem bekräftigenden „Amen“ des Narren plastisch herausgearbeitet.

Die Applausordnung am Ende des gut dreistündigen Premierenabends, mit nur einer Pause nach dem zweiten Akt, integriert auch die Filmdarsteller: Standing Ovations des Publikums für alle Beteiligten, Bravorufe und keinerlei Unmutsbezeugungen.