Grausame Welt
Ehre, Rache, Vergeltung – das sind Begriffe, die schnell große Bedeutung bekommen in einer Geschichte aus den spanischen Kolonien in Amerika, in denen es um nichtstandesgemäße Liebe, falsche Schwüre und schier endlose Flucht geht. Sind diese Kategorien auch virulent in unserer heutigen Gesellschaft? Regisseur Robert Lehmeier geht dieser Frage nach und verlegt die Liebesgeschichte von Leonora und Don Alvaro in die Jetztzeit. Und versucht, einen sozial- und gesellschaftskritischen Kern aus Verdis La forza del destino herauszukristallisieren.
Da gibt es eine Gruppe Obdachloser, die in einem schäbigen Hinterhof haust, den Tom Musch gebaut hat und dessen Wände mit allerlei Parolen zu allerlei Themen beschrieben und beklebt sind. Irgendwo in Buenos Aires, London oder Neapel. Opfer der globalisierten Welt, die als Futter für ein Söldnerheer rekrutiert werden. Und dies von Preziosilla, der feinen Chefin einer Agentur mit ebenso feinen Damen, die allesamt wie eine Mischung aus Stewardess und Avon-Beraterin aussehen. Direkt nebenan hat sich irgend eine Sekte mit ziemlich unheilig wirkenden frömmelnden Fundamentalisten eingenistet. Dies alles Zitate aus der Gegenwart – nur erschließt sich daraus keine Botschaft, die der Regisseur vermitteln möchte. Der Konflikt Vater-Tochter, Tochter-Bruder, auch das Thema Schuld und Rache erfährt keine erkennbare Interpretation. Und wenn bei Verdi die Kriegsmaschinerie auf Hochtouren läuft (und das tut sie gegenwärtig noch an viel zu vielen Orten dieser Erde), robbt sich ein kleiner Junge mit völlig lädierten Beinen von links nach rechts über die Bühne des Theaters. Die Musik verstummt. Merke: Die Welt ist grausam, vor allem gegen Kinder. Das ist Sinngebung mit dem Holzhammer.
Wie in diesem ganzen Kontext das allererste Bild – eine großbürgerliche Familie im 19. Jahrhundert – zu interpretieren sein soll, auch das bleibt offen.
Robert Lehmeiers Bilder sind entweder sehr deutlich - oder so verschlüsselt, dass es des Programmhefts zur Deutung bedarf. Auch ist seine Personenführung wenig dazu angetan, Verdis ohnehin eher sperrigem Werk Fluss und Leben einzuhauchen. Ständig lässt Lehmeier seine Figuren auf dem Boden hocken oder auf den Knien rutschen. Da wird der Abend schon mal etwas lang.
An diesem Eindruck können auch die Gesangssolisten nicht viel ändern. Aus dem Ensemble ragt Daniel Moon hervor, der dem vom Rachegedanken besessenen Carlo mit seinem schön geführten, ebenmäßigen Bariton finster-brütende Züge verleiht. Welch ein kultiviert singender Künstler! Lina Liu und Ray M. Wade jr. als Liebespaar Leonora und Alvaro haben auch stimmlich viel gemeinsam: traumhaft sicher können sie singen, auch in den hohen Lagen. Gleißend ihre Stimmen, die nur ein wenig Wärme und lyrische Farben vermissen lassen. Thomas Mehnert gibt dem Pater Guardian ausdrucksstarke Würde, während Jan Friedrich Eggers als Fra Melitore hochfahrend daher kommt. Almerija Delic gestaltet die Preziosilla mit flackerndem, etwas rauem Mezzo, während sich der von Markus Lafleur einstudierte Chor in guter Form zeigt.
Andreas Hotz, der neue Osnabrücker Generalmusikdirektor, gibt mit diesem Verdi seinen Einstand als Operndirigent. Und er macht es toll. Er hält die Dynamik absolut sängerfreundlich, betont das Lyrische, dreht den Klang nur ganz gezielt auf. Ganz ohne Zweifel hat er schon in kurzer Zeit einen guten Draht zu den Symphonikern gefunden.