Tödliches Duell Mephisto - Don Juan
Wie ein Hexenmeister zaubert Nürnbergs Ballettdirektor Goyo Montero mit allem, was hinter den Samtportieren des Guckkastens von Nürnbergs neuem Schauspielhaus versteckt liegt. Hier eine Versenkung, dort eine Schräge. Vorn dreht sich das Bühnenkarussell, hinten fährt ein Podest hoch. Gleißendes Licht jetzt, um klitzekleine und riesengroße Silhouetten barocker Gestalten an die Rückwand zu werfen - dann Schummerlicht oder gar höllische Finsternis. Ein paar derbe Wirtshausstühle, hauchzarte wallende und wogende Stoffe, schließlich ein gläserner Käfig mit schwarzem Deckel, der sich nie mehr öffnen wird, ist man erst einmal eingefangen: ab in die Hölle!
Satanisch beginnt und endet der Geniestreich des Spaniers in Franken. Und weil er mit seinen zwanzig fulminanten Tänzern eben in der hochmodernen Spielstätte auftritt, greift er sich dort alles, was gut ist – nicht nur die Bühnentechnik, sondern auch ein Juwel aus dem Schauspielensemble: die junge Julia Bartolome als Pendant zu Rafael Rivera als Gast-Titelheld, seines Zeichens Tänzer und Schauspieler. Die junge Münchnerin spielt – nein, zelebriert „M.“. Nach Shakespeares Richard III., wofür sie 2011 mit dem Darstellerpreis der Bayerischen Theatertage ausgezeichnet wurde, nun also Mephisto. Er/sie ficht ein höllisches Duell nach dem anderen mit dem himmlischsten aller Verführer. Goethe, Tirso de Molina und José Zorrila y Moral liefern die Waffen: scharfzüngige und poetische Texte, ebenso betörend auf deutsch durch den Raum zischend oder schwebend, wenn der/die listige M. spricht, wie auch auf spanisch, wenn Don Juan sie von oben herab perlen lässt oder kraftvoll ausholend peitscht oder zärtlich säuselt.
In eben so viele Gestalten teilt sich der Herr aller Mannsbilder wie gerade Frauen in greifbarer Nähe sind und nimmt sie sich, oft sechs oder sieben auf einen Streich. Herrliche Ensembles für sechs bis sieben Paare unter Juans „Regie“ sind da zu sehen auf Glucks Furientanz, der ursprünglich für seinen Don Juan komponiert war. Nur wenige Damen führt M. dem Juan zu, die es zu erobern gilt – zum Beispiel die schöne, spröde Doña Ana (Simone Elliott), die der Meister lüstern entblättert. Jede Hülle des inneren Widerstands ist eine Tänzerin in unschuldsvollstem weißen Mieder und Hotpants. Währenddessen prahlt nebenan in der Kneipe Juans Diener Asasello (ein genial zappelndes Bündel Mensch: Max Levy) zu Leporellos Registerarie aus Mozarts Don Giovanni, „wie viele“ sein Meister in ganz Europa schon „hatte“.
Schließlich zieht M. seine/ihre Trumpfkarte: ein Nönnchen wäre da, das nie etwas anderes kennen lernte als hinter Klostermauern zu beten….. Angesichts des feinen, schmeichelnden Herrn ertappt diese fromme Doña Inés (Ana Baigorri) sich bei ganz neuen Fantasien – und kann ihren sündigen Schatten (Marina Miguélez) nicht verscheuchen. Zum ersten Mal ist Juan verliebt und verliert die Kontrolle. Eiskalt schnappt M. sie Juan vor der Nase weg, sperrt sie in den Höllenkäfig – und legt einen Veitstanz aufs Parkett, sodass dem Zuschauer fast die Sinne schwinden. Aber in Minutenschnelle ist der Spuk vorbei. M. kommt zur Sache: „Dem Nönnchen hinterher, Juan!“ (froh-)lockt er. Hinein in den Glitzerkasten mit dem Nimmersatten – und ab in die Hölle.
So geistvoll kann Ballett heute sein, so spielerisch kurzweilig, so erfrischend modern ohne gezierte Attitüde. Lang lebe der Hexenmeister von Nürnberg!