Krieg in Ägypten
Da wälzt sich der gestandene Kriegsheld und Feldherr nach seiner ersten Wasserpfeife kichernd über den Boden – gleich darauf wird ihm übel: der Nahe Osten hat halt außer den Pyramiden auch noch – wohl etwas zu starken - „ roten Libanesen“ zu bieten.
Giulio Cesare hat durchaus auch komische Seiten wie diesen rauschhaften Trip. Doch mal ganz von vorn. Regisseur Stephen Lawless’ Inszenierung beginnt in einem Kinosaal, in dem im Wochenschau-Stil über den Krieg in Ägypten berichtet wird und in dem der Sieger Julius Caesar gleich eine Pressekonferenz abzuhalten gedenkt. Im Saal sitzen Journalisten, die sich wenig später in die handelnden Figuren verwandeln werden.
Lawless gelingt es immer wieder, aus Händels Meisterwerk ein großes, breit angelegtes Welttheater zu gestalten. Er verbindet kühn aber gekonnt moderne Elemente, ja moderne Foltertechnik mit stummfilmartigen Szenen, wuchtige Situationskomik mit zutiefst trauernden Personen. Alles scheint zusammengewürfelt und fügt sich doch so wunderbar zu einem Ganzen. Wir begegnen etwa dem um den Pharaonenthron wetteiferndem, pubertierendem Geschwisterpaar Cleopatra und Ptolemaeus. Schon zu Beginn mit leicht inzestuösen Neigungen ausgestattet, nimmt das Schicksal für beide seinen Lauf. Er entwickelt sich zu einem Möchtegern-Diktator in Fantasieuniform, streichelt mit chaplinhaften Bewegungen sein Modell für eine zu befehligende Schlacht; sie setzt eher auf den römischen Usurpator, umgarnt ihn und hat nach seinem Sieg nichts besseres zu tun, als in der Wüste einem toten Soldaten seine Sonnenbrille zu klauen und sich unterm Sonnenschirm erst mal richtig zu bräunen. Ganz schön schräge Typen - aber so ist das Leben, oder?
Und dann gibt es die Underdogs. Die können machen, was sie wollen und bekommen immer noch eins übergebügelt. Das sind in diesem Falle Cornelia und Sextus, die moralisch sind, sich sorgen, die trauern. Sie im züchtigen blauen Kleid, er in der viel zu großen Uniform seines aufständischen Vaters - und beide nachdenklich und mit Skrupeln behaftet. Keine guten Voraussetzungen für ein Leben im Haifischbecken. Und so geraten sie auch unter die Räder, werden Opfer von Folter.
Lawless und sein Team packen auch die ernsten Seiten des Krieges an, zeigen Folter anspielungsreich auf dem Sarg des Pompeius und auch Gewalt, tun dies aber ohne erhobenen Zeigefinger, entspannen aufgeladene Situationen immer wieder durch Szenen, die schmunzeln lassen oder knallige Effekte bieten. Etwa die riesige Propellermaschine, mit der Caesar als Bruchpilot in der Wüste notlanden muss.
Detailverliebt werden einzelne Arien bebildert. So geraten Caesars Gedanken über die Kriegsführung zu einem munteren Kräftemessen mit Ptolemaeus. Genau diese Mischung aus kleinen Sequenzen und einem großen Bogen machen Giulio Cesare zu einem ganz großen Theatererlebnis. Dazu trägt das Solistenensemble einen erheblichen Teil bei. Ist man vom Geschehen auf der Bühne begeistert, untermauern die Sänger diesen Eindruck mit hervorragenden Leistungen.
Robert Wörle als schleiertanzender Eunuch Nirenus ist ein echter Hingucker - auch Yoontaek Rhim als Curio und Máté Sólyom-Nagy als Achillas singen prächtig. Das gilt auch für Mireille Lebel, die den Sextus mit einem sehr gut artikulierenden, hellen Mezzosopran ausstattet. Ihre Rachearie („L'angue offeso mai riposa“) ist einer die vielen Höhepunkte an diesem Abend. Stéphanie Müther als Cornelia führt ihre Stimme sehr sicher sowohl durch die rasanten Barockkoloraturen, berührt aber auch mit intensivem lyrischen Ausdruck etwa im Abschiedsduett mit Sextus („Son nato a lagrimar“). Denis Lakey ist ein nervöser, flackernder Ptolemaeus, passt deshalb hervorragend in diese Rolle.
Traumwandlerisch sicher singt Julia Neumann die Cleopatra. Es ist rundherum eine große Freude ihr zuzuhören, nicht zuletzt, wenn sie tiefe Gefühle von Trauer und Leid verströmt, die mitten ins Herz treffen („Piangerò la sorte mia“).
Ganz phänomenal ist Benno Schachtner in der Titelpartie. Seinen Countertenor, ebenmäßig und sicher in allen Lagen, schillernd, ausdrucksvoll, aber auch gebieterisch, kann man schlichtweg als Idealbesetzung bezeichnen. Stimmtechnische Brillanz paart sich bei ihm mit großem Gespür für die musikalisch fein ausgestaltete Szenerie. Man wünscht, Schachtner würde nie aufhören zu singen!
Und das Philharmonische Orchester Erfurt, das sicher nicht täglich Barockmusik spielt, ist von seinem Kapellmeister Samuel Bächli perfekt für diese Produktion vorbereitet worden und macht seine Sache einfach nur gut. Spannend die ganz unterschiedlich ausgestalteten Rezitative. Neben den üblichen Klangfarben Cembalo und Cello werden Harfe und Laute eingesetzt, Fagott und Kontrabass betonen den Bass und geben gezielt zusätzliche Farbe. Insgesamt macht Bächli Händels großartige Musik leicht und transparent, faszinierend vom ersten bis zum letzten Moment. Giulio Cesare ist schon ein langer Abend – hier aber auch ein unheimlich erfüllender.