In der Hölle ist was los
Orpheus und Eurydike betreiben in Athen eine heruntergekommene Touristentaverne. Die Ehe ist am Ende; wirtschaftlich aber sind sie aneinander gebunden. Beziehungsmäßig gehen beide ihre eigenen Wege - und so ist der Gatte recht froh, als Eurydike brutal in die Luft gesprengt wird und in die Unterwelt verschwindet. Am Motorroller ihres Geliebten Aristeus nämlich hat irgend jemand manipuliert... Doch die Öffentliche Meinung - eine eher herbe und herrische Person - will an Orpheus ein Exempel statuieren. Griechische Tugenden wie Treue und wahre Liebe soll er zeigen. Und so muss der passionierte Geiger gegen seinen Willen hinauf in den Olymp und von den Göttern seine Gattin zurückfordern.
In das krisengeschüttelte Griechenland verlegt Walter Sutcliff Offenbachs Orpheus in der Unterwelt, ein Griechenland, in dem die Götter und ihre Tugenden verkommen sind zu nahezu leblosen Statuen im Museum. Sutcliffe geht dabei nicht zimperlich vor, setzt auf sehr deutliche Bilder. Feinsinnige Komik ist seine Sache hier sicher nicht. Trotzdem kann man sich herrlich amüsieren, etwa bei der fulminant inszenierten und getanzten Prügel- und Plünderungsszene von Randalierern in Athen, oder über die herrlich überzeichneten Touristen im Museum: eine asiatische, ständig knipsende Reisegruppe und eine übergewichtige, Chips essende und Cola trinkende amerikanische Familie. So eine Portion Schadenfreude ist schon was Feines, oder?
Ein schöner Anblick auch, wie die lethargischen, terracottafarbenen Götter(statuen) langsam zu neuem Leben erwachen und zum Ausflug in die Unterwelt aufbrechen. Die wunderbaren Götterkostüme sind nicht der einzige Hingucker an diesem Abend. Für die Unterwelt entwerfen Timo Dentler und Okarina Peter eine wunderschön karge, in unterschiedlichen Schwarz- und Grautönen gehaltene Strandlandschaft: Plutos Reich als gewinnträchtige Amüsierzone außerhalb jeder Normen. Doch in diesem herrlichen Ambiente fällt Sutcliffe für die Handlung wenig ein – im Gegensatz zum ersten Teil plätschert da alles etwas dahin. Selbst John Styx, den Hans Hermann Ehrich prima singt, bleibt als Figur blass.
So kommt erst zum Ende wieder Fahrt auf, als die Götter auf neue Tugenden pfeifen und Eurydike zur partymachenden Bacchantin wird. Kein Wunder, dass die Öffentliche Meinung resigniert, sich ihres strengen Kostüms entledigt und ihren wahren Charakter offenbart: sie trägt einen schwarz-rot-goldenen Unterrock!
Die Götterschar wird durch das Osnabrücker Ensemble verkörpert: Stefan Kreimer als Merkur, Silvio Heil als Mars, Heike Hollenberg als Juno und Chihiro Meier-Tejima als Cupido machen ihre Sache eben so gut wie Lina Liu, Kathrin Brauer und Irina Neznamova als Jupiters Töchter Diana, Venus und Minerva. Den Göttervater selbst stattet Jan Friedrich Eggers mit jugendlichem Charme aus.
Almerija Delic als Öffentliche Meinung beeindruckt mit tiefen, funkelnden, böse drohenden Tönen. Mark Hamman ist für Pluto, der auf der Erde sein Geld als Dealer verdient und in der Unterwelt mit Tourismus jenseits der Normen, eine Idealbesetzung. Ein Lust ist es, seinem hemmungslosen Falsettieren zuzuhören.
Marie-Christine Haase singt die Eurydike schön, aber auch zurückhaltend, als ziere sie sich, in das orgiastische Göttertreiben einzutauchen.
Ein Glücksfall für diese Inszenierung ist Daniel Wagner, der als Orpheus nicht nur seinen ausgeglichenen Tenor sicher ertönen lässt, sondern selbst auch sehr gut Geige spielt.
An diesem Abend nicht ganz mithalten können die Osnabrücker Symphoniker unter Daniel Inbal. Da passieren einfach viele Patzer und Ungenauigkeiten, die den perlenden, fließenden Offenbach-Klang zu oft unterbrechen.
Insgesamt ein amüsanter Abend, bei dem Regisseur Sutcliffe nur eine einzige Frage offen lässt: Warum tragen die Götter in Griechenland römische Namen? Sollte das etwa eine EU-Verordnung sein?