„An ihrer Nase häng ich mich auf!“
In seiner Autobiographie „Mein Leben“ erzählt Richard Wagner von jenem Opernlustspiel, Männerlist größer als Frauenlist oder Die glückliche Bärenfamilie, das in Band 11 der Schriften und Dichtungen erstmals komplett veröffentlicht wurde. Nach der katastrophal missglückten Uraufführung seiner Komischen Oper Das Liebesverbot 1836 in Magdeburg sollte dieses Werk, frei nach einer Erzählung aus Tausendundeine Nacht, den geringen Ansprüchen der Wagner „ einzig zugänglichen kleineren Stadttheater“ entsprechen:
Der Goldschmied Julius Wander weckt mit seinem Ladenschild „Männerlist größer als Frauenlist“ den Unmut der schönen Leontine. Sie macht ihn in sich verliebt und gibt sich als Aurora, die Tochter des Barons von Abendtau aus, um die Julius sogleich beim Baron wirbt. Die aber ist, wie Julius erst nach der Verlobung bemerkt, ein echtes Monster. Durch einen Zufall begegnet er seinem verschollen geglaubten Vater, einem Bärenführer, den er zum Hochzeitsfest einlädt. Die adelige Gesellschaft ist darüber entsetzt, und noch mehr, als auch der Bär Julius um den Hals fällt, - denn in seinem Fell steckt Bruder Richard. Da Julius zugibt, seine adeligen Vorfahren nur erfunden zu haben, löst der Baron die Verbindung mit seiner Tochter, und Julius bekommt die schöne Leontine, die sich tatsächlich von dessen Männerlist besiegt erklärt.
Am Ende der deutlich mit autobiografischen Bezügen aufwartenden Opernhandlung (Wagners ältester Bruder Julius war Goldschmied von Beruf!), besingt der Komponist das Glu?ck der niedrigen Herkunft.
Eine erste Urauffu?hrung erlebte Männerlist größer als Frauenlist bereits im Jahre 1982, innerhalb des zweiten Wagner-Spectaculums in Pegnitz. Der Komponist Hans-Peter Mohr hatte Wagners Libretto mit entlegenen Kompositionen Wagners vertont und dabei auch Reminiszenzen an Wagners spätere Musikdramen nicht gescheut.
Im Jahre 1994 tauchten bei einer Auktion Wagners originale Kompositionsskizzen zu dieser Oper wieder auf. Angekauft fürs Richard Wagner-Nationalarchiv und anschließend partiell veröffentlicht, wurden sie im Auftrag des pianopianissimo-musiktheaters von Günter Lang transkribiert und – quasi als Nachtrag zur szenisch erfolgten Uraufführung von diesem Ensemble konzertant zur Uraufführung gebracht: die Nr. 3 am 8. März 2000 in Pegnitz, die Nummern 1, 3 und 4, ebenfalls konzertant, am 9. September 2006 in Solingen. Im Jahr darauf instrumentierte James Francis Brown die Nummern 2 und 3 mit Orchester. In dieser Fassung erfolgte die Uraufführung am 13. Oktober 2007 konzertant im Royal Opera House London.
Nun brachte die Hauptstadtoper Berlin zum Wagner-Jahr und zur Eröffnung ihres neuen Domizils in Berlin-Friedrichshain die erste szenische Aufführung mit Wagners drei komponierten Nummern heraus.
In der beengten Räumlichkeit erhebt sich in der Ecke der aufeinanderstoßenden Flanken des Zuschauerbereichs eine Kasperlebühne, auf welcher die Adelsgesellschaft, inklusive dem Diener Anastasius, teils als Puppen verdoppelt wird, teils selbst in persona auftritt. Mit dieser Lösung kann sich die Inszenierung auf eine Vorliebe Richard Wagners für das Puppenspiel ebenso berufen wie auf dessen diesbezügliche familiäre Aktivitäten.
Die Puppenbühne auf der Bühne (Conni Hasselmann) wartet mit wechselnden Prospekten auf. Die Adeligen tragen zu heutigen Anzügen Hochfrisuren aus Kunststoff (Bariton Philipp Lang als Baron von Abendtau und Counter Felipe Leon als Frau von Perlmutter). Bei Aurora (Kristina Jean Hays) ist der Haaraufbau zu einem Krokodilskopf deformiert, bei Leontine – als einer Pendlerin zwischen Adel und Bürgertum – aber zu einer roten Echthaarfrisur getürmt. Optisch verzichtet die Aufführung auf die Affen des kleinen Familienzirkus’, und der Bär ist eine Marionette mit Wagner-Barrett.
Der in der Eröffnungsnummer der Oper bewundernd besungene Schmuck ist Origami-Kunst aus weißem Papier, das Ladenschild eine Graffiti-Plane. Auch Leontine outet sich – als Puppe, wie als Realfigur –als Sprayer. Aber leider lässt sich die im Hochformat aufgehängte Botschaft der Ungleichwertigkeit des weiblichen Symbols gegenüber dem männlichen nicht entziffern und läuft somit beim Publikum ins Leere.
Wagners witzige Dialoge aber quittiert das Premierenpublikum mit Lachern, selbst die vom Diener Anastasius (Berthold Kogut) in schnoddrigem Berlinerisch heruntergenudelten chauvinistischen Sottisen über Auroras körperliche Deformierung („Man müsste ihr den Kopf umdrehen, da würde sie einen gewölbten Busen und einen geraden Rücken haben.“)
Da Wagner von den zehn Nummern dieser Oper nur drei komponiert hat, ergänzte Martin Bargel die fehlende Musik durch frühe Lieder und Einlegarien Richard Wagners, sowie durch Teile aus dessen Klavierstücken und Chorwerken, nun gemäß den Versen des Männerlist-Librettos arrangiert und textiert. Dies ist ihm großenteils bewundernswert gelungen, etwa wenn er das fragmentarische Terzett Nr. 4 durch Heranziehen der Sonate in B-Dur, op. 1 (WWV 21) und das Liedfragment La tombe dit à la rose (WWV 56) ergänzt und abschließend, durch Wiederaufnahme des Anfangs, den Rahmen bildet.
Dramaturgisch naheliegend, wie schon in Mohrs Pasticcio im Jahre 1982, erfolgte die Integration der Polonaise zu vier Händen (WWV 23), der französischen Romanzen, des Vielliebchenwalzers (WWV 88) und der Musik zum Vaudeville La Descente de la Courtille (WWV 65).
Aber auch die Integration später Werke, die harmonisch bereits in neue Räume vorstoßen, wie etwa Wagners Ankunft bei den schwarzen Schwänen (WWV 95), sind in Bargels Fassung nachvollziehbar, zumal Wagner sich in seinem Oeuvre häufig selbst zitiert und gleiche Situationen in Früh- oder Spätwerk durchaus mit denselben Themen chiffriert sind.
Weniger glücklich gewählt scheint hingegen der Gruß seiner Treuen (WWV 71) als musikalische Grundlage für Anastasius’ Couplet Nr. 9, welches doch sehr deutlich eine Idee aus Wagners Feen aufgreift und erneut verarbeitet. Obgleich das Schlussensemble bei Wagner vermutlich bereits ähnlich geklungen hätte, wie das Statement der Rheintöchter am Schluss des Rheingold, hat Bargel mit dem Wahlspruch für die deutsche Feuerwehr (WWV 101) für Männerlist größer als Frauenlist ein treffliches Finale geschaffen.
In der Hauptstadtoper wird erstaunlich gut gesungen. Die musikalische Einstudierung erweist sich als fundiert. Unter Martin Bargels Leitung, vom Klavier aus, gelingen dem 7-köpfigen Ensemble selbst rhythmisch vertrackte Chorsätze und a cappella-Ensembles.
Prinzipalin der Hauptstadtoper und führender Sopran ist Kirstin Hasselmann; sie verkörpert eine in die Jahre gekommene „Tochter der Fröhlichkeit“ (Wagner), stimmlich mit der erforderlichen Rossini-Leichtigkeit plus dramatischem Einschlag und szenisch mit glaubhaften Gefühlsmomenten. In der Hauptpartie der Oper vermag der japanische Tenor Noriyuki Sawabu gleichermaßen gesanglich wie darstellerisch zu überzeugen – und sogar sprachlich, in Julius Wanders ellenlangen Dialogen.
Wagners – nach der unvollendeten Hochzeit und den vollendeten Opern Die Feen und Das Liebesverbot – vierter Opernversuch, unmittelbar vor Rienzi, steht im Wagnerjahr 2013 in sehr unterschiedlichen Lesarten und Aufführungsansätzen zum Vergleich an:
Auf Grundlage sämtlicher, zum Teil noch unveröffentlichter Skizzen, und weiterer entlegener Kompositionen Wagners aus dem Umfeld der Entstehung, hat auch der Dirigent Franz Killer Wagners Opernfragment komplettiert.
Die Uraufführung dieser Fassung erfolgt am 27. Juni 2013 im Circus Wagner auf der Nürnberger Stadtwiese durch die Pocket Opera Nürnberg, inklusive Chor und Orchester.