Eine finstere Geschichte
Imposant hebt und senkt sich eine Art Planetenmodell vom Schnürboden – man denkt sofort an Johannes Kepler und seine Modelle vom Universum. Dann setzt sich die Hebebühne in Gang und im Keller des Jesuitenklosters werden dutzende versteinerte Leichen sichtbar. Im Halbdunkel bewegen sich Gestalten. Ab und zu durchflutet helles Licht die dunkle Szenerie – ein Hoffnungsschimmer für die Zukunft. Zeichen dafür, dass Aufbegehren und Nachdenken lohnen. Weitestgehend aber spielt sich die Handlung eher im Zwielicht ab. Schnell wird auch deutlich, dass Stefano Poda das Geschehen in die Zeit der Renaissance verortet. Und dass das beherrschende Grau und Schwarz sicher ein gutes Bild abgibt von der finsteren, durch starres Hofzeremoniell geprägten Herrschaft der spanischen Habsburger. Was ebenso schnell deutlich wird: dieser Inszenierung geht eine Figurenausdeutung völlig ab. Die Charaktere von Carlo, Posa, Eboli, Elisabetta und Filippo bleiben völlig im Ungefähren - und das ist schade. Geht es doch auch um das Schicksal von Individuen, die ihr persönliches Glück leben wollen.
Keine Frage: Podas Szenerie beeindruckt, ruft Staunen hervor, nicht zuletzt beim Autodafé, zu dem ein riesiges Weihrauchfass durch den Himmel hin- und hersaust. Wenn man allerdings ein wenig intensiver schaut, erstarrt das Bühnengeschehen in großen Posen, von den Figuren in ihren tollen schweren Mänteln großartig bewältigt. Doch ist das letztlich ein bisschen wenig, worüber das reiche und virtuose Ausschöpfen aller Möglichkeiten der Bühnenmaschinerie samt Drehbühne nicht hinwegtäuschen kann.
Das der Don Carlo im Theater Erfurt dennoch am Premierenabend schwere Begeisterung hervorruft, liegt vor allem am singenden Personal. Der von Andreas Ketelhut bestens einstudierte Chor meistert die ihm gestellten anspruchsvollen Aufgaben souverän. Das gilt ebenso für die Darsteller der kleineren Partien - beginnend mit den flandrischen Deputierten, die Dessislav Popov, Gonzalo Simonetti und Nils Stäfe sowie die Weimarer Musikstudenten Michael Borth, Johannes Leuschner und Hao En Xing darstellen. Jörg Rathmann als Conte di Lerma macht seine Sache ebenso gut wie Daniela Gerstenmeyer: ihr Tebaldo wurde allerdings von der Regie völlig vernachlässigt.
Die meisten großen Rollen kann das Erfurter Haus aus dem eigenen Ensemble heraus besetzen und stellt damit seine Leistungsfähigkeit deutlich unter Beweis. Vazgen Ghazaryan mag es als Großinquisitor vielleicht noch an finsterer Tiefe fehlen - ein darstellerisches Schwergewicht ist er auf jeden Fall. Richard Carlucci in der Titelpartie muss am Premierenabend einem Fieber von knapp 38 Grad Tribut zollen. Doch seine bravouröse erste Arie „Io l'ho perduta!“,in die er alles hineinlegt, zeigt, dass er den Don Carlo sicher zukünftig strahlend darstellen wird. Dariya Knyazyeva ist vor allem in ihrem „O don fatale“ein profunde Eboli mit bronzen strömender Stimme. Voll und ganz überzeugt Ilia Papandreou als Elisabetta. So voller zarter Töne, leidvoller Verzweiflung und doch kämpferisch bot sie eine durch und durch erstklassige Rollengestaltung. Das gilt in hohem Maße auch für Kartal Karagedik. Sein wendiger, ebenmäßiger und klangintensiver Bariton sowie seine enorme Bühnenpräsenz geben dem Marchese di Posa durch und durch glaubwürdige Gestalt – sicher die Entdeckung des Abends. Dass den Höhepunkt im hochklassigen Ensemble dennoch der einzige Gast setzt, darf niemanden wundern, gab doch Georg Zeppenfeld, der an den großen Opernhäusern der Welt zu Hause ist, den Filippo. Und was sein so selbstverständlich anspringender volltönender Bass an Gefühlsnuancen hervorzaubern kann, ist einzigartig. Zärtliche Liebe, grenzenlose Einsamkeit und Verzweiflung bietet er, aber auch stählerne Härte und eiskaltes Kalkül - schlichtweg großartig.
Manlio Benzi und das Philharmonische Orchester Erfurt stürzten sich lustvoll in das Meer aus Gefühlen, das Verdi in seiner Partitur ausbreitet. Und doch könnte der Dirigent noch ein Quentchen mehr an Temperament versprühen – was nicht einhergehen muss mit gesteigerter Lautstärke. Die nämlich ist schon reichlich vorhanden, wenn Holz und Blech richtig aufdrehen.
Erfurts Premierenpublikum ist von diesem spektakulären Abend sichtlich beeindruckt und honoriert ihn mit Standing Ovations – und mit sehr genau dosiertem Beifall für die Solistinnen und Solisten.