Japanisches Todestor in der Black Box
Keinen besseren Raum im neuen Musiktheater Linz hätte Daniela Kurz für ihre Inszenierung von Purcells tragischem Meisterwerk Dido und Aeneas wählen können als die „Black Box". Der Souterrainraum vis-à-vis vom Orchester-Probensaal hat sich schnellstens als multifunktionale Probebühne und experimentelles Theater bewährt. Lernten Zuschauer und Ehrengäste der Eröffnungswoche im April dieses Jahres die Box als intime, schummerige Bar mit schmalem, raffiniert mäandernden „Catwalk" für die Vorstellung der sieben Musical-Darsteller kennen, so präsentiert sie sich nun als riesiger, fensterloser, gedrungener Saal, zweigeteilt durch eine breite, dreistufige Treppe. Oben der Einlass, Zugang zu den künstlerischen Bereichen und Aufbau des Schlagwerks inklusive Donnerblech und einem japanischen „Turii" - dem Schinto-Tor zwischen irdischem Leben und der Welt nach dem Tod. Im unteren Teil drei quadratische Bühnenpodeste ohne Abgrenzung zum Kammerorchester mit Streichern, Cembalo und Gitarre (nein, wirklich keine Theorbe!) und den Zuschauerplätzen. Einfach irgendwo hinhocken im zugewiesenen Eckchen, heisst's da, auf einen der Pappkarton-Würfel, die glücklicherweise innen mit Holzleisten verstärkt sind. Oder auf einen Barhocker längs der Rückwand hüpfen.
Neben unser, mit einer gelben Schnur eingegrenztes Areal wird sich während der Aufführung der Chor setzen, um gleich - je Sängerdarsteller einen Pappkarton in der Hand schwingend oder über dem Kopf balancierend - weiter zu wandern, einmal voll in Aktion tretend als Karthager oder Seeleute, ein andermal reflektierend zu verharren wie ein antiker Chor.
Dido und Aeneas wird hier zur musiktheatralischen Installation - ganz anders als Sasha Waltz' Fest-Inszenierung mit ausladenden Tanzszenen, wie sie die Barockoper zwischen den Gesangsnummern so liebte. Und auch gar nicht so realistisch, wie Manfred Weiß die Kammeroper für die Junge Szene der Semperoper erzählte, verlegt in eine moderne Mädchenschule ähnlich wohl dem vornehmen Pensionat in Chelsea, das Purcell Ende des 17. Jahrhunderts mit der Komposition beauftragte.
Daniela Kurz, die seit dem Ende ihrer Ballettdirektion in Nürnberg 2008 wirklich „frei" arbeitet zwischen den Künsten und Nationen, reduziert ihre Inszenierung, für die sie auch Choreografie und Ausstattung konzipiert hat, auf ein Minimum und schafft doch ein Welttheater mit starker Symbolkraft und Effekten: ein von der Decke baumelnder, malerischer Olivenzweig aus rötlich schimmerndem Kupfer deutet auf den wirtschaftlichen Reichtum Karthagos hin. Das Donnerblech kommt bei dem von Hexen und Geistern verursachten Unwetter zum Einsatz. Durch das Schinto-Tor schreitet Dido nach ihrem Freitod aus Liebesschmerz. Wie im Zeitraffer scheint sie kurz vor ihrem Ende ihr Leben an sich vorbeiziehen zu sehen bis zum letzten Lamento mit dem anrührenden Schluss: „Gedenke meiner, aber ach! vergiss mein Los".
Nur fünf Sänger und drei Tänzer agieren neben dem großen Chor. Ein Dutzend Instrumentalisten begleiten. Drei Tänzer - Samuel Delvaux, Leonardo Rodrigues und die Griechin Nefeli Skarmea - um- spielen die Sänger, ohne ihnen direkt zugeordnet zu sein. Immer wieder zitiert Kurz japanische Kampfsportposen und -gesten. Warme Farbtöne herrschen bei den stilisierten antiken Kostümen vor. Bordeauxrote, wallende Stoffbahnen umgeben die Königin von Karthago. Gemessen sind fast alle Bewegungen, anrührend das Liebesduett zwischen dem werbenden trojanischen Prinzen und der halbherzig widerstrebenden Königin. Mädchenhaft wirkt die Dienerin und Freundin Belinda, ein wüster Gesell mit Zottelhaaren ist die Zauberin. Ein nicht nur herrlich spielendes, sondern auch singendes Ensemble aus jungen Künstlern ist das: voller Melancholie und Würde wirkt Martha Hirschmann (Dido). Hinreißend jugendlich kommt der grandiose Bariton Martin Achrainer (Aeneas) über, sehr frisch Claudia Giebl (Belinda, aber auch erste Hexe neben Cheryl Lichter), markig Sven Hjötleifsson als Zauberin, aber auch Geist und kopfüber einschwebender Seemann.
Selten erlebt man Dido und Aeneas so intim und intensiv. Ein großer, kleiner Opernabend!