Ein Hausmeister und zwei Brüder
Es beginnt damit, dass jemand das Licht löscht. Als dieser Jemand wenige Minuten später wiederkommt, hat er einen verwahrlost aussehenden alten Mann bei sich, dem er in seiner Bruchbude aus Regalen voll angesammeltem Krimskrams und alten Elektrogeräten, zwischen mannshohen Zeitungsstapeln und gräulich angelaufenen Wänden eine vorübergehende Unterkunft anbietet. Dieser Jemand ist Aston, ein geistig ein wenig verwirrter, in sich gekehrter und hilfsbereiter junger Mann, der tagein tagaus an ein und demselben Stecker herumschraubt und endlich seinen Schuppen im Garten bauen will. Davies, der von ihm auf der Straße aufgelesen wurde, bekommt von Aston und seinem Bruder Mick unabhängig das Angebot, als Hausmeister zu arbeiten. Das hört sich nicht nur simpel an, das ist es im Grunde auch.
Als Harold Pinter einmal gefragt wurde, ob sein 1960 uraufgeführtes Stück von der Beziehung zwischen Gott und den Menschen im Alten Testament handele, antwortete er schlicht: „Nein, es handelt von einem Hausmeister und zwei Brüdern.“. Punkt, Ende der Diskussion, damit ist der Plot des Werkes erklärt. Doch Andrea Breth hätte Pinters Werk nicht inszeniert, wäre das wirklich alles. Die Regiealtmeisterin liebt Stücke von hoher atmosphärischer Dichte, Stücke, die sie fordern, weil sie eben nicht einfach zu entziffern sind. Mit Der Hausmeister hat sie ein eben solches gefunden und nun im Residenztheater in München in der für sie typischen psychoanalytisch genauen Manier auf die Bühne gebracht.
„Ich habe gar keine Energie mehr. Und zu allem Überfluss habe ich keine Uhr.“ Davies sitzt neben Mick auf dem Bett in Astons Rumpelkammer und beschwert sich. Das macht er eigentlich ständig, er hat sich dreist bei den Brüdern eingenistet, fordert, wo er nichts zu fordern hat und spielt sie gegeneinander aus. Hans-Michael Rehberg ist ein Davies, der für sein Leben, seine schmutzigen Unterwäsche und seine durchgelatschten Schuhe nichts kann, das sind die anderen schuld, die Griechen, die Inder von nebenan, die Ausländer generell, die Umstände an sich. Wie soll er denn bitte auch in Sidcup seine Papiere abholen, wenn die schwarzen Schuhe, die er von Aston freundlicherweise geschenkt bekommt, braune Schnürsenkel haben? Das passt nicht zusammen, also zieht er sie nicht an.
Rehberg gelingt es meisterhaft, die Facetten der Figur auszuspielen; verdrossen, arrogant, stur und stets hinterlistig auf seinen Vorteil bedacht wechselt er von einer Sekunde auf die andere die Fronten; erzählt eben noch ausschweifend, wer wie wann genau seinen Koffer entwendet hat, um in der nächsten das Klappmesser zu zücken und Aston ein krächzendes und wahnwitziges „Mit mir nicht, Kleiner!“ vor die Füße zu schleudern, sodass es einem kalt den Rücken hinunterläuft.
Wenn man sich auf der Bühne anschaut, wie Davies mit Aston umgeht, wie er ihn triezt und ausnutzt, dann möchte man ihn fragen: Warum tust Du Dir das nur an? Die Frage beantwortet Shenja Lacher erst gegen Ende des Abends, als er seinen Aston erzählen lässt, warum er nicht mehr unter Leute geht, warum er so manisch davon besessen scheint, den Schuppen im Garten zu bauen. Er erzählt von den Elektroschocks, die er gegen seinen Willen bekam, die von seiner Mutter bewilligt wurden und die seine Psyche so nachhaltig geschädigt haben. Er braucht jemanden, der ihm zuhört.
Lacher erzählt Rehbergs Davies diese Grausamkeiten in leisem Tonfall und mit einem zaghaften Lächeln im Mundwinkel und man möchte ihn für diesen Moment einfach tief berührt in die Arme schließen.
Norman Hacker ist Astons Bruder Mick, ein Macho in Lederjacke und mit eigenem Lieferwagen, ein Kerl, der anpackt, ein Macher, der große Pläne für das heruntergekommene Haus in der Hosentasche hat und erst einmal ein wenig Psychoterror mit dem komischen Kauz treibt, den sein jüngerer Bruder da bei sich wohnen lässt. Doch bei genauerem Hinsehen zeigen sich auch in dieser Figur Brüche und Norman Hacker gelingt es, diese in den nur wenigen Momenten umso deutlicher zu zeigen. Eigentlich ist auch Mick jemand, der nicht vom Fleck kommt, der große Pläne hat, aber sie nicht umsetzen kann und über dessen prahlerisch dargestellte Firma ihm mehr Probleme bereitet, als er zugeben wollte.
In ihrer eckig ausgeschnittenen Bühne realisiert Annette Murschetz unter einer nackten Decken-Funzel die chaotische Anordnung von Astons absurdem Hab und Gut, hauptsächlich bestehend aus Gerümpel aller Art, hineingezwängt in überbordende Regale und gestapelt selbst auf dem Bett, sodass es erst freigeräumt werden muss, als Davies dort nächtigen möchte. Zusammen mit der grandiosen Lichtführung von Gerrit Jurda festigt sich der Eindruck einer ständig anwesenden, unterschwelligen Bedrohung, ein Motiv, das sich durch die gesamte Inszenierung zieht und die Atmosphäre maßgeblich trägt.
„Wenn ein wirkliches Schweigen eintritt, bleibt uns immer noch ein Echo, aber wir sind dem Eigentlichen näher. Man kann Sprache auch so betrachten, dass man sagt, sie sei ein unablässiges Bemühen, Blöße zu bedecken“, sagte Pinter in einer Rede beim Studententheater-Festival in Bristol 1962.
Mit seiner sprachliche Besessenheit und psychologischen Präzision ist der britische Dramatiker geradezu prädestiniert für Breth, die mit Der Hausmeister ihr Debüt in München feiert; oft hat man sie gefragt, endlich ist sie da und Martin Kušej scheint seine Entscheidung nicht zu bereuen:
Als an diesem Premierenabend nach zweieinhalb Stunden der Vorhang fällt, werden Breths Bemühungen, dieses lange von den Spielplänen verschwundene Stück in seiner sprachlichen Komposition und Musikalität publikumswirksam zu präsentieren, mit großem Applaus belohnt.