Übrigens …

AscheMOND oder The Fairy Queen im Staatsoper Berlin

Barockoper, übermalt und mit heutigen Texten collagiert

Henry Purcells Fairy Queen im Original ist eine Semi-Oper. Die musikalischen Interludien zu einer Schauspiel-Aufführung von Shakespeares A Midsummer Night’s Dream, jeweils an das Ende der Akte gerückt, ist notgedrungen ausschließlich in Bearbeitungen zu erleben. Claus Guth, der Purcell für die Staatsoper inszenieren sollte, bat sich daraufhin die Zusammenarbeit mit dem Komponisten Helmut Oehring aus. Der schuf zu einer neuen Handlung eine neue Musik, die Purcells Nummern reflektierend überlagert, weiterschreibt, klassisch und live-elektronisch verfremdet. Text- und Sound-Zuspielungen überlagern den Gesang der Solisten und des Staatsopernchors, kombiniert mit neuen Texten.

Der Titel nimmt Bezug auf die Sonnenfinsternis als einer Metapher auf die Deckung von Sonne und Mond, Mann und Frau.

Ein Mann besucht das Haus seiner Kindertage. Er rätselt nach den Gründen des Selbstmords seiner Mutter, findet ihr Tagebuch und erlebt sich selbst als kleinen Jungen in den Situationen der Vergangenheit. Video- und Geräuschebene überlagern die Realität und führen ihn zurück in seine Familie.

Bühnenbildner Christian Schmidt hat dafür vier Räume einer leeren Wohnung auf die Drehbühne gesetzt, deren Zimmer im jeweils abgewandten Zustand von Technik und Requisite dekoriert und umgestaltet werden.

Die Feen des Untertitels, mit kleinen schwarzen Flügeln, sind Verstorbene, die in der Lage sind, auf das Leben der Menschen einzuwirken.

Walter Felsensteins Kernfrage, „Warum singt der Mensch?“ wird hier permanent optimal eingelöst, wenn die von Oehring vertonten Shakespeare-Sonette Vergänglichkeit betonen und Purcells Wohlklänge archaischen Optimismus ins Spiel tragen.

Im halbhoch gefahrenen Orchestergraben sind zwei Orchester und zwei Dirigenten zu erleben, ergänzt noch um E-Gitarre, Solo-Gitarre und Solo-Kontrabass. Benjamin Bayl macht sich mit der Akademie für Alte Musik Berlin einfühlsam zum Anwalt Purcells, Johannes Kalitzke überlagert diese Klänge auch mit Kettenrasseln, dirigiert das Staatsorchester und ist verantwortlich für die musikalische Gesamtleitung.

Intensiv im Spiel und fesselnd im Gesang die Sängerdarsteller: die Sopranistin Elin Rombo hat von Marlis Petersen die Partie der jugendlichen Mutter übernommen, faszinierend in Leid, Hingabe und Schöngesang. Wie im Vorjahr verzaubert der Countertenor Bejun Mehta als Freund der Familie mit elegischem Belcanto. Marina Prudenskaya hat die Partie der herben Schwester von Tanja Ariane Baumgartner übernommen und füllt sie mit ihrem warmen Mezzosopran rollendeckend. Ein Gewinn ist Stephan Rügamer, anstelle von Topi Lehtipuu, in der Tenorpartie ihres Ehemanns, Roman Trekel aus der Uraufführungsbesetzung sorgt als undurchsichtig-finsteres Familienmitglied für das Bassfundament. Hinreißend agiert, skandiert, flüstert und singt der von Frank Flade einstudierte Chor der Staatsoper. Zusätzliche Spannungsebenen entstehen durch eine Gebärden-Solistin (Christina Schönfeld) und einen Tänzer (Uli Kirsch).

Schauspieler Ulrich Matthes rezitiert als Mann auf der Suche nach seiner Vergangenheit eindrucksstark Texte der amerikanischen Autorin Sylvia Plath. Ganz am Ende beginnt Matthes sogar zu singen, wahnsinnig geworden, bricht „I will“ von Thom Yorke ungetüm-qualvoll aus ihm heraus.

Der retardierende Epilog wurde für die Wiederaufnahme nahezu komplett gestrichen.

Helmut Oehrings Absicht, einen „Schwebezustand zwischen Diesseits und Jenseits, Leben und Tod, Lieben und Verlieren“ zu schaffen, ergreift die Rezipienten auch in der siebten Vorstellung seit der Uraufführung unmittelbar.

Lang anhaltender Applaus und Bravorufe für ein ganz ausgezeichnetes Solistenteam, Chor- und Orchesterformationen, sowie das komplett anwesende Regieteam und den Komponisten.