Übrigens …

Der Rosenkavalier im Lokhalle im Naturpark Südgelände Berlin-Schöneberg

Oper auf der Leinwand und Theater im Kopf

Was die – zum diesjährigen Richard Strauss-Jubiläum naheliegende – Aufführung mit den Zielsetzungen der NaturTon-Stiftung gemein hat, begründete Frank Strobel mit der in Strauss’ Oper thematisierten Vergänglichkeit, vergleichbar jener der Industrielandschaften, wie der als Aufführungsort gewählten Lokhalle. Der Dirigent hätte sich auch auf Robert Wienes Rosenkavalier-Film als eigenständiges filmisches Kunstwerk beziehen können, denn im Gegensatz zur Oper spielen zahlreiche Szenen dieses Films im Freien. So die Szenen auf der Landstraße und vor dem Palais des Herrn von Faninal, so auf dem Schlachtfeld des Feldmarschalls, so bei der hier vorgezogenen, ersten Begegnung zwischen Sophie und Oktavian in einem Open-Air-Vorstadt-Belustigungs-Etablissement und dann nahezu im gesamten Schlussakt. Denn die Handlung des dritten Aktes der Oper wurde für den Film merklich erweitert und verlegt vom Vorstadt-Beisl in den Park und die Grotte der Feldmarschallin, wobei tänzerische Fest-Darbietungen auch musikalisch Strauss’ Eigenart als Rokoko-Bearbeiter hervorheben.

Die Wiederaufführung mit der Sächsischen Staatskapelle unter der Leitung des Filmmusik-Spezialisten Frank Strobel im September 2006 hatte nicht nur für Dresden ein neues Kapitel der Strauss-Rezeption eröffnet. Denn durch diesen Film wurde klar, wie flüssig die Tempi des Rosenkavalier, nicht nur für den Film, vom Komponisten intendiert waren. Die Verbreiterung der Tempi in der Bühnenpraxis betonten darüber hinaus das Süßliche dieser Musik über Gebühr. Dass es sich bei der Tempo-Wahl nicht um ein technisches Problem, etwa für das Musiktempo der zu schnell laufenden Bilder des Films handeln konnte, beweisen die Metronom-Angaben des Komponisten in der Film-Partitur, wie auch ein von Strauss in London selbst auf Schallpatte eingespieltes Fragment der Filmmusik. Gleichwohl soll es bei der Uraufführung in Dresden zu deutlichen Diskrepanzen zwischen Musikfluss und Filmablauf gekommen sein, so dass der Film mehrfach unterbrochen werden und die Musik anschließend dem Film besser angepasst werden musste.

Frank Strobel, der wohl beste Dirigent historischer Filme, der sich sinfonisch erfolgreich für Alfred Schnittke und musikdramatisch für die Bühnenwerke Siegfried Wagners einsetzt, überzeugt mit seiner Synchroneinrichtung. Nach herausragenden Aufführungen mit der Dresdener Staatskapelle, den Wiener Symphonikern und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin klingt die Filmpartitur mit dem Staatsorchester durchaus noch vielschichtiger und auch mit mehr Mut zur Skurrilität, – etwa beim jaulend-verstimmten Walzer, den einer handbetriebenen Drehorgel in der Filmszenerie entspricht.

Zahlreiche neue Szenen gegenüber der Bühnenfassung lassen den 1925 uraufgeführten Stummfilm geradezu als Strauss’ Rosenkavalier-Fassung letzter Hand erscheinen. Da bricht mit der Person des Feldmarschalls (Paul Hartmann) und seinen militärischen Unternehmungen viel Martialisches in den Wohlklang ein, und die für dieses Sujet oft vermisste Rokokomusik, frei nach Couperin, dominiert in den hinzu erfundenen Szenen des vierten Akts und in den Tanzszenen beim Maskenfest im Garten der Feldmarschallin (Huguette Duflos).

Kompositorisch aufschlussreich erscheint die Tatsache, dass Strauss für die Idee fixe der Eifersucht des Feldmarschalls jenes Thema aus seiner Salome wieder aufgegriffen und breiter ausgeführt hat, mit dem Herodes seine Stieftochter zur Annahme von Steinen überreden will, die – auf der Stirn getragen – Dinge sehen lassen, „die nicht wirklich sind“.

Auch das Fortspinnen des Liebesgefühls zwischen Oktavian und Sophie in Richtung der musikalischen Zeichnung der Frau ohne Schatten („mir anvertraut, dass ich sie hege“) wird in dieser Filmpartitur deutlich.

Das im dritten Opern-Akt etwas seltsam anmutende Auftauchen der Feldmarschallin im Beisl wird durch deren im Film gezeigte Gewohnheit, Orte fragwürdiger Lustbarkeit aufzusuchen, durchaus besser motiviert. Der in der Filmhandlung wiederholt, nicht jedoch am Ende der Filmhandlung auftretende Mohrenknabe Mohammed reduziert den aus der Werbung adaptierten Kitschmoment der Oper.

Am Ende der Filmhandlung gibt es drei sich wieder findende Liebespaare, Sophie und Oktavian, die Marschallin und den von einer Sittenkommission zu Eifersucht und Kriegslust angestachelten Feldmarschall, sowie das unterschiedliche Wege beschreitende und sich im Eros wieder findende Intrigantenpaar Annina (Carmen Cartellieri) und Valzacchi (Friedrich Féher). Dass auch für deren Vereinigung das Thema der silbernen Rose repetiert wird, betont die Fragwürdigkeit des durch persisches, de facto aber ungarisches Rosenöl erzeugten billigen Olfaktorik.

Auch die frühe Begegnung zwischen dem hier mit Jacques Catelain männlich besetzten Oktavian und Sophie (Elly Felice Berger) erscheint dramaturgisch hilfreich. Einzig die Figur des Faninal (Karl Forest) wirkt als ein wetterwendisch trotteliger Weichling überzeichnet; diese Interpretation des Finanziers verweist auch auf einen Mitte der zwanziger Jahre verstärkt auftretenden Antisemitismus. Auch die Entwicklung des Ochs auf Lerchenau, den der Filmbetrachter zunächst in seinem heruntergekommenen Landgut zuhause im Bett erlebt, wird in der Filmhandlung deutlicher. Als einzige Rolle ist er mit einem Opernsänger besetzt, mit Michael Bohnen, dem Darsteller der Opern-Uraufführung. Und in dessen subtilem Witz fließt auch einiges von der Regiekunst Max Reinhardts, der bei der Uraufführung quasi inkognito, aus der zweiten Reihe, inszeniert hatte, mit ein. Hugo von Hofmannsthal zeichnete auch für das Film-Drehbuch mit ergänzter Vorgeschichte und kompliziertere Lösung des dramatischen Knotens verantwortlich, und Bühnenbildner Alfred Roller für die Dekorationen des Films, den Regisseur Robert Wiene mit einem Personalaufwand á la Hollywood in Szene gesetzt hat.

Seltsamerweise fehlt in beiden erhaltenen Filmkopien die achte Rolle – und damit das Ende. Doch nach kurzem Einschnitt führte Strobel die Film-Partitur zu einem um ca. 40 Minuten verknappten Ende. Dabei wurden einige kurze Sequenzen des fehlenden Schlussakts aus dem seinerzeitigen Werbetrailer ergänzt und durch Standfotos der fehlenden Szenen und erklärende Texte erweitert. Angesichts der Tatsache, dass es sich beim Schlussakt also nicht um eine Rekonstruktion, sondern um einen neuen Umgang mit historischem Material handelt, wäre den Rekonstrukteuren mehr Mut zu Zooms, Teilausschnitten und verlangsamten Erinnerungssequenzen zu wünschen gewesen. Dies hätte die Verkürzung der im Schlussteil ohnehin dominierenden Musik nicht erforderlich gemacht. So aber konstatierten zahlreiche Besucher, dass das Theater in ihrem Kopf evoziert und tatsächlich zum Ereignis wurde.

Nach knapp zwei pausenlosen Stunden dankte opernhaft emphatischer Jubel dem optimal auf Strobels Intensionen eingehenden Orchester der Staatsoper und dem fulminant impulsiven Dirigenten in seinem Nachvollzug einer „Verwandlung eines Werkes von der Form einer Oper zur Form eines eigenständigen Film- und Musikwerkes“ (Strobel).

Die Stiftung NaturTon ist eine Klimaschutz-Initiative der Musiker der Staatskapelle Berlin unter der Schirmherrschaft von Daniel Barenboim. Alle beteiligten Künstler verzichteten beim Rosenkavalier auf ihre Gage und gedachten zugleich des Dirigenten Claudio Abbado, der diese Klimaschutz-Initiative initiiert hatte. Der Erlös dieser Veranstaltung floss in das Zauberwald- und das Moldawien-Projekt.

Damit indizierte die Aufführung eine heute glücklicherweise häufiger anzutreffende soziale Tendenz und Verantwortung der Kulturschaffenden selbst. So feierte eine Woche zuvor in Berlin das Kempinski Young Artist Programme sein fünfjähriges Jubiläum: das 2009 gegründete Förderprogramm hilft jungen Künstlern aus den Bereichen Musik und bildende Kunst, sich weiterzuentwickeln, in einem fremden Land zu studieren und so neue künstlerische Impulse zu gewinnen. In der Praxis mit einem Konzert der Stipendiaten und in der Theorie auf einer Podiumsdiskussion gleichermaßen überzeugend, verwies Dirigent Leon Botstein vom Bard College Berlin auf die Bedeutung universeller Bildung.