Übrigens …

Der Rosenkavalier im Salzburger Festspiele

Ein junger Ochs und ein farbiger Rivale des Octavian

Richard Strauss als Mitbegründer der Salzburger Festspiele hätte zu seinem 150. Geburtstag wohl eine intensivere Auseinandersetzung verdient als eine Oper und zwei Beiträge in zwei Sinfoniekonzerten. Alexander Pereira hatte immerhin eine zweite Neuinszenierung (Capriccio) geplant. Aber er bekam als scheidender Intendant heftigen Gegenwind, und so blieb es beim allseits beliebten, besonders prunkvoll ausgestatteten Rosenkavalier. Dessen Uraufführung in Dresden hatte bekanntlich der Salzburger Festspielbegründer Max Reinhardt inkognito zu verantworten. Die damals vorgenommenen Kürzungen wurden beibehalten. Erstmals, zumindest in der Geschichte der Salzburger Festspiele, erklingt die Komödie für Musik in drei Aufzügen ungekürzt.

Die „neuen“ Musikpassagen, durch die sich die Opernaufführung auf fast fünf Stunden verlängert, waren im Jahre 1911 angeblich der Zensur zum Opfer gefallen,

Denn es handelte sich dabei insbesondere um überdeutlich sexistische Texte, wie der Ochs auf Lerchenau nach eigenen Aussage über die Frauen, etwa die „jungen Mägde aus dem Böhmischen“ verführt: „Da gibt es welche, die wollen beschlichen sein, sanft, wie der Wind das frisch gemähte Heu beschleicht. Und welche – da gilt’s wie ein Luchs hinterm Rücken heran und den Melkstuhl gepackt, dass sie taumelt und hinschlägt [...].“

Dass die Partitur durch die geöffneten Striche reicher würde, lässt sich – jenseits des Anspruchs auf Vollständigkeit – nicht bekräftigen. In der Neuinszenierung wirken die Verlängerungen eher retardierend, so dass der Verdacht besteht, diese Kürzungen habe möglicherweise Max Reinhardt, um Striche nie verlegen, aus dramaturgischen Gründen vorgenommen.

Schwungvoll, forsch und grell zeichnet Franz Welser-Möst bei geschlossenem Vorhang musikalisch den morgendlichen Geschlechtsverkehr von Bichette und ihrem Cousin Quin-Quin. Wenn der Vorhang sich öffnet, zieht er sich bereits an, sie steht vor dem übergroßen Spiegel in einem Bühnenraum von Hans Schavernoch, der die Handlung ins Jahr der Entstehung 1911 rückt, mit zunächst nur pastellfarbig angehauchten Breitwand-Monumentalfotos, die, scharf auf die Rückwand projiziert, den (neo-)barocken Charme der Wiener Metropole vermitteln. Weitere Veränderungen des Bühnenraums schaffen auf Laufbändern verschobene Interieurs, wodurch die Topographie in eine Schwingung versetzt und auch ohne Drehbühne ein filmischer Fluss suggeriert wird.

Altmeister Harry Kupfer inszeniert mit großer Könnerschaft, aber ohne den Biss seiner früheren Arbeiten. Seine Inszenierung unterscheidet sich von den herkömmlichen und auch den in Salzburg vorausgegangenen, nicht immer konventionellen Produktionen durch deutliche, neue Schlaglichter auf das Alter der handelnden Personen. Dass die deutlich ältere Feldmarschallin ein außereheliches Verhältnis mit dem erst siebzehnjährigen Octavian, also einem Minderjährigen, hat, verdeutlicht das – im Gegensatz zur Aufführungstradition dieser Oper – deutlich angehobene Alter des „kleinen Negers“ (Hofmannsthal): Mohammed ist hier nicht der kindlich trippelnde, süße (Sarotti-)Mohr, sondern ein jugendlicher „Laufer“, der bereits am Steuer des prachtvollen Oldtimers sitzt, mit dem er im Finale der Oper seine Herrin und den Geldadeligen Faninal heim kutschiert. Dann kommt dieser Mohammed zu Fuß zurück, um ein von der Marschallin im Prater unter der Bank verlorenes Wäschestück aufzugreifen; dies passiert offenbar nicht in ihrem Auftrag, sondern aus eigenem Impetus: in den letzten Takten schnuppert er, am Portal des Schlafzimmers der Feldmarschallin wartend, an diesem Dessous. Bereits im ersten Akt war der stumme Mohammed als ein Rivale Oktavians um die Liebesgunst der Feldmarschallin zu erleben. Doch der Regisseur hat bewusst offen gelassen hat, ob es sich bei Mohammed um den Vorgänger oder den Nachfolger Octavians im Bett der Marschallin handelt.

Neu ist das Erscheinungsbild des Barons Ochs auf Lerchenau, nicht als alter, trotteliger und dicker Schwerenöter, sondern als ein eitler, schlanker Draufgänger in den besten Jahren. Mit der jugendlichen Besetzung folgt die Produktion dem einmal von Strauss geäußerten Wunsch nach einem „35-jährigen, Don Juan, kaiserlicher Kämmerer, der etwas ‚verbauert’ ist.“ Dass der Baron der Marschallin in dieser Fassung seine Liebespraktiken im Detail verrät, zeugt von einer großen Kommensurabilität Beider auf diesem Gebiet.

Besonders ins Licht gerückt wird der den Ochs ständig als Kammerdiener begleitende, uneheliche Sohn Leopold (Rupert Grössinger).

Zu den hübschen Details der Inszenierung zählt, dass die Marschallin zum Frühstück eine Schellackplatte auf ihr Grammophon legt, womit der Regisseur das Erklingen des menuettartigen, den Bogen zwischen Barock- und Neuzeit spannenden Walzers im Orchester erklärt.

Im zweiten Akt nimmt Oktavian von einer der kinetischen Wände des Hauses Faninal zwei Prunkschwerter, wirft eines davon dem Ochs zu, der sich beim Auffangen dieses „Spati“ an der Hand verletzt. Der Hypochonder wird auf eine fahrbare Bahre gehoben, und auf seinen Wunsch fährt dann auch noch ein Lotterlager „aus lauter Federbetten“ herein, an dessen Kopfende die gesamte Lerchenauer Dienerschaft auf weitere Erlebnisse daselbst wartet.

Die Handlung des zweiten Aktes wird zunächst über den Dächern der Kaiserstadt lokalisiert, von wo aus die Leitmetzerin (textunverständlich Silvana Dussmann) ihre Mauerschau per Fernrohr betreibt. Die Überreichung der silbernen Rose erfolgt im gigantischen Gewächshaus, die Szenen mit Ochs in den mit Kunstgegenständen angefüllten Innenräumen von Faninals Palais.

War am Ende des ersten Aktes im Rahmen der unmerklichen Fotopanorama-Überblendungen der Blick auf eine schwarzweiße, winterliche Praterallee sichtbar geworden, so herrscht im Prater des dritten Aktes, lokalisiert durch Riesenrad und Achterbahn, ein farbenfreudiges Ambiente: in der Projektion sind die Stämme der grün belaubten Bäume mit Rotlicht-Ketten umwunden. Aus mobilen Versatzstücken wird das Beisl errichtet, überragt von einem praktikablen Walfisch als Kasperlebühne. Die Kinderschar als angebliche Uneheliche des Ochs (der groß besetzte Salzburger Festspiele Theater und Kinderchor in der Einstudierung von Wolfgang Götz) wartet schließlich im Himmelbett darauf, dass sie, ihrer sozialen Bestimmung gemäß, auch als künftige Lust-Diener/innen an die Reihe kommen.

Das nicht ganz leicht zu erklärende Auftauchen der Feldmarschallin am Ort zweifelhafter Lustbarkeiten wird durch das Doppelleben der bigotten Handlungsträgerin in extravaganter Kostümierung als Luxusdirne begründet (Kostüme: Yan Tax).

Das Vorspiel zum dritten Akt interpretiert Welser-Möst wie eine symphonische Dichtung der Vorwegnahme der grotesk-gespenstischen Geschehnisse im Verführungs-Gasthof. Dabei macht er die Nähe dieses Tonstücks zu Verdis Falstaff deutlich. Die Stimmen jedoch deckt der Dirigent, insbesondere in den ersten beiden Akten, mit der Klanggewalt der trefflich intonierenden Wiener Philharmoniker zumeist zu.

Vor Beginn der zweiten Aufführung war Pereira vor den Vorhang getreten, um an die positiven Kräfte des Publikums für Mojca Erdmann zu appellieren, die Sopranistin wegen einer aufkeimenden „Erkältung“ zu entschuldigen.

Aber auch die anderen Solisten wirkten angesichts der orchestralen Dominanz im weithin offenen Bühnenraum merklich schwach. Krassimira Stoyanova, die von Katharina Wagner als Eva für die Neuinszenierung der Meistersinger von Nürnberg in der Regie von Barrie Kosky für 2017 in Bayreuth angekündigt wurde, gestaltet die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg hintergründig und mit stets warmer, sauberer Tongebung. Packend ihr Monolog über das Verrinnen der Zeit. Sophie Koch als „Bub“ Octavian verhehlt nie die Hosenrolle; Kochs Stimme mischt sich gut mit dem leichten Sopran von Mojca Erdmann als Sophie. Dagegen nimmt Günther Groissböck den Baron Ochs auf Lerchenau als überheblichen Landadeligen sehr viril, ohne Poltern, aber mit relativ wenig farblichen Schattierungen.

Blass bleiben Adrian Eröd als Faninal und Rudolf Schasching als Intrigant Valzacchi, während Wiebke Lehmkuhl als Annina an dessen Seite dramatischen Kern offenbart. Unter Festspielniveau hingegen der von Stefan Pop als schwache Pavarotti-Kopie angelegte italienische Sänger.

Die Festspielbesucher reagierten unverstört, mit kurzem, aber heftigem Applaus für alle Beteiligten.