Mit Geld spielt man nicht (ungestraft)
Schwere Kost, würde Klitschko kommentieren über ein Werk von 500 Seiten. Es geht in Zolas Roman Das Geld um nicht weniger als das Wesen des Geldes, die Psychologie der Börse und ihrer Protagonisten und um das, was Gier, Spieltrieb und Spekulantentum aus Menschen machen. Fragen, die bis heute im Raum stehen und zu deren Beantwortung der Mann des 19. Jahrhunderts erstaunlich Aktuelles anzubieten hat. Zola, der gnadenlos nüchterne Analyst des Fin de Siècle, wertet nicht, er beobachtet. Sein Realismus wirkt bestechend, er schreibt nicht, was sich schickt, er beschreibt das Unschickliche. Dazu kann auch der Umgang mit Geld gehören. Aus literarisch gerne glorifizierten Kurtisanen werden in seiner Nana kleine, unreife Dirnen, mit einer spätpubertären Sehnsucht nach der romantischen großen Liebe.
Aus der angesehenen Pariser Börse wird in Das Geld ein System, das die Merkmale des ihm innewohnenden Untergangs trägt. Mit Geld spielt man nicht. Zumindest nicht ungestraft. Was für eine Aktualität im Jahr sechs nach Lehmann! Die Frage nach dem Zusammenhang von virtueller Wertschöpfung und Realwirtschaft wird ebenso gestellt wie die nach der Einflussnahme der Presse auf die Spekulation. Womit wir bei Oskar wären: Im Publikum Europe's most dangerous man, als den die Sun damals als Murdoch's voice den deutschen Finanzminister diffamierte, als er für die Kontrolle der ungezügelten Aktienfonds und Börsengeschäfte der Banken plädierte. Entschuldigt hat sich nach der eingetretenen Bankenkrise bisher noch keiner bei ihm. Neben Lafontaine in der dritten Reihe Sahra Wagenknecht, die vieles wieder erkannt haben durfte im Stück Zolas, das Karl Marx in seinem Manifest vorausgesagt hatte: Wie die Sprengung der Ketten der Nationalökonomie, die Globalisierung der Finanzmärkte.
Das episch breite Opus wurde von Dagmar Schlingmann gemeinsam mit Ursula Thinnes verschlankt, auch sprachlich entschlackt, von erzählerischen Nebensträngen wie der Figur des missratenen Viktor befreit. Die Koproduktion mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen hatte nun die bejubelte Uraufführung am Staatstheater Saarbrücken.
Heraus kommt eine wunderbare Mischung aus Romanadaption, die zeigt wie man heute die Realisten des 19.Jahrhunderts wie Zola oder Hugo inszeniert, und einer beklemmend aktuellen Analyse der Welt des Parkett. Schlingmann inszeniert, indem sie filetiert, das Wesentliche präsentiert. Aporien lassen sich lachend besser ertragen, sie lässt darum das Komische am Tragischen nicht nur zu, die Grenze zum Grotesken wird gerne gestreift. Verfremdungseffekte reißen aus jeder behaglichen Beschaulichkeit. Die Mimik wird zur zentralen Botschafterin, Faxen wirken nicht übergestülpt, Nacktheit nicht als verspätete Reminiszenz an Zeiten der Lust an purer Provokation. Wenn die Baronin Sandorff, dem Orgasmus nahe, wenn sie nur von Geld spricht, sich den Federhut vor ihr entblößtes Allerheiligstes hält, ist die Wirkung auf das Publikum weniger erotisch als irre komisch. Schlingmann zieht alle Register der Personenführung, lässt ihre Rollenträger mit dem Publikum spielen, jagt dann wieder den Gottseidank sportlichen Saccard die Kletterwand nach oben, an der sich die Aktienkurse ablesen lassen als Hausse und Baisse.
Der Erzählstrang wird auch für den nachvollziehbar, der mit dem Werk nicht vertraut ist. Per Leuchtschrift angekündigte Sentenzen, getreu der literarischen Gattung des Stückes, der Fortsetzungsroman im Feuilleton. Dass diese Publikationsform die literarische Qualität nicht mindern muss, belegt ein Blick auf Döblins Berlin Alexanderplatz, zuerst als Fortsetzung im Feuilleton der Frankfurter Zeitung erschienen.
So entsteht ein Kaleidoskop unterschiedlicher Charaktere, gewollt leicht und liebevoll überzeichnet: Hasardeure, Egomanen, zwanghafte Apologeten der mathematischen Berechenbarkeit von Märkten, Juden, deren Judentum nicht mit dem geringsten abfälligen Unterton gezeichnet wird, keine Stereotypien des Antisemitismus werden bedient. Dann wieder gescheiterte Existenzen, naive Glücksritter, Liebesdienerinnen der Gottheit Mammon, die der erotischen Qualität des Geldes verfallen sind. Dazu kommen kleinbürgerliche Aufstiegsaspiranten, die den einzig möglichen Weg des Glücksspiels nehmen, und narzisstische Adolenszensverweigerer gehören mit aufs Parkett. Dagmar Schlingmann bringt alle Charaktere in faszinierender Konsistenz auf die Bühne. Alle Personen sind liebevoll herausgearbeitet, keine Rolle ist zu klein, um nicht von ihr Beachtung zu finden. Bis ins kleinste Detail stimmt die Choreografie. Dass viele Hosenrollen verteilt werden, schafft einmal mehr Distanz zum Romanhaften der Vorlage.
Tempo, Witz und Geist, die Dreifaltigkeit der Schlingmannschen Inszenierung. Ein Bühnenbild von Sabine Mader, das in den Bann schlägt. Als sei das überdimensionierte Papier schon von oben nach unten ausgerollt, auf dem die Banknoten gedruckt werden. Ein glattes Parkett, mit Luken und Höhlen. Raum für Phantasie.
Die Kostüme des Fin de Siècle, aus der Produktivabteilung von Bettina Latscha. Eine prototypische Arbeit, die dann wieder ins Opulente verliebt ist. Phantasiereich und augenzwinkernd. Im Hintergrund die dezente Musik von Alexandra Holtsch.
Das Ensemble überzeugt ohne Ausnahme. Man spürt die Spielfreude, in die Schlingmann und Thinnes die Schauspiele versetzt haben. Überragend Georg Mitterstieler in der Hauptrolle des Saccard. Von dynamischer Präsenz, unglaublich textsicher. Mal nackt, mal schwebend am Haken, immer macht er eine bella figura. Er deklamiert nicht, er spricht. Man hat das Kleistsche Gefühl vom Verfertigen der Gedanken während des Redens. Er ist Saccard und er ist einer von uns, wenn er warnt, dass mit der Abschaffung des Geldes wir alles verlören und keiner im Theater wäre. Mitterstieler überspringt den garstigen Graben (Lessing) zwischen Jetztzeit und Vergangenheit. Großes Theater.
Yevgenia Korolov verleiht der Karoline Anmut und Charakterstärke. Die Schauspielerin bringt gekonnt eine Gegenwelt auf die Bühne, wirkt dabei authentisch und glaubwürdig. Wunderbar komödiantisch setzt Saskia Taeger ihre Rolle als Baronin Sandorff in Szene. Herrlich lasziv, dekadent, androgyn. Dazu in der Rolle des Marquis de Bohain, des nötigenden Kutschers Charles, man spürt „seine“ Zudringlichkeit förmlich selbst. Hamelin, der Ingenieur, dargestellt von Robert Prinzler, eindrucksvoll zurückhaltend gespielt, dem Psychogramm angemessen. Ein herrlich gefühlsarmer Getriebener, Börsengegenspieler Gundermann, den Klaus Meininger souverän auf seinem Elektrosessel einbringt. Jantrou, der Journalist, gerissen, überlebensorientiert, eine Paraderolle für Christian Higer. Des weiteren auf der Bühne Gertrud Kohl als herrlich verkommene, halb blöde Méchain, Gabriela Krestan, Andreas Anke, Cino Djavid und Helena Sigal.
Das Publikum ist begeistert. Oskar Lafontaine sehr angetan von der schauspielerischen Leistung und dem Stück. Es führe in die Hölle der Börse, zeige den zerstörerischen und destruktiven Charakter, den Geld bekommen könne. Darum: Reingehen, ansehen!