Einstand nach Maß
Mit der abstrakten Tanzkreation Deca - Deci und dem kleinen Handlungsballett L'Arlésienne"nach Alphonse Daudet auf George Bizets populäre Suiten präsentierte Antoine Jully ein ebenso kontrastreiches wie niveauvolles Programm für seine zehnköpfige neue "BallettCompagnie Oldenburg". So gelang dem Franzosen ein Einstand nach Maß als neuer Oldenburgischer Chefchoreograf. Der ebenfalls neu engagierte Ballettdirektor Burkhard Nemitz hält ihm als Manager den Rücken frei; denn Jully verantwortet choreografisch in dieser Saison alle drei Abende sowie ein Kinderballett, das Programm der traditionellen Internationalen Tanztage und die Choreografie für das Musical Evita.
Schon während seiner Tänzerkarriere - zuletzt fast zehn Jahre bei Martin Schläpfer in Mainz und Düsseldorf/Duisburg - begann der gebürtige Pariser zu choreografieren. Beim Ballett am Rhein profilierte er sich mit drei mehr als ansehnlichen Choreografien, die nicht zuletzt durch die originelle Musikwahl aufmerken ließen. Auch in Deca - Deci (griechisch und italienisch für "zehn") verblüfft Jully mit der Deutschen Erstaufführung der 5. Sinfonie des hierzulande kaum bekannten Andrej Eschpai, live sehr klangschön und klar strukturiert gespielt vom Oldenburgischen Staatsorchester unter der Leitung des jungen Italieners Vito Cristofaro, der vom Tiroler Landestheater Innsbruck ebenfalls in die neue Intendanz von Christian Firmbach berufen wurde. Der greise Komponist, dessen umfangreiches, vielseitiges Werk in Russland hoch angesehen ist, ließ es sich nicht nehmen, aus Moskau zur Premiere anzureisen. In Deutschland dürfte seine spätromantisch anmutende Partitur dank ihrer berückend zarten lyrischen Passagen und lebhaft theatralischen Sequenzen viele Anhänger finden (eine Platteneinspielung der 5. liegt seit langem vor).
In seinem Ballett erweist sich Jully als souverän in der Raumnutzung und dem flüssigen Wechselspiel von Solo - Paar - Ensemble. Raffiniert sind Jullys Bühnen- und Kostümbild. In der transparenten Plastikplane des Rückprospekts spiegeln sich die Tänzer schemenhaft als Entsprechung zu dem ätherisch Geheimnisvollen der Musik. Über pastell-blauen Zweiteilern tragen die Tänzerinnen und Tänzer schwarze Spitzenjacken mit Kapuzen, die sich im Schwung der Bewegung immer wieder über den Kopf legen, was die märchenhafte Aura unterstreicht.
Jullys choreografische Sprache erinnert hier (noch?) deutlich an Schläpfers anspruchsvolle moderne Gestik und Artistik. In L'Arlésienne (Die Schöne aus Arles) spürt man eher Mats Eks Erbe, deutlich aber auch die Zusammenarbeit mit den durchweg vorzüglichen Tänzern, denen Jully ihre Rollen perfekt "auf den Leib" geschrieben hat. Vor allem der drahtige Cubaner Lester René González Álvarez porträtiert die Liebesnot des Fédéri - er liebt die Falsche und stürzt sich in den Tod - mit größter Intensität und stupender Virtuosität. Etwas hölzern noch wirkt die Italienerin Nicol Omezzolli als verliebt-ungeliebte Vivette, reif und anrührend kommen Marié Shimada und Floriado Komino über. Eine runde Sache ist dieser Zweiteiler und wurde vom Publikum ausführlich beklatscht.