Die bemannte Ratte topt das Gespenst im Flugwerk
Ein Kind aus der IPad-Generation neben mir äußerte beim Vorspiel mit schwarzen Totenvögeln über Gräbern enttäuscht, „das ist ja nur ein Video“, aber unversehens nahm die dichte, auch ein erwachsenes Publikum als Maßstab sich erwählende Inszenierung von Jasmina Hadziahmetovic auch die Scharen der Kinder im Auditorium gefangen.
Mehr als die sich bewegenden Ritterrüstungen mit leuchtenden Visieren auf der Galerie des Einheitsspielortes der Halle des Schlosses (Bühnenbild: Paul Zoller), fasziniert die Besucher eine überlebensgroße, sich possierlich gebärdende Ratte mit leuchtenden Augen, die so einen Positiveffekt der Bayreuther Lohengrin-Inszenierung von Hans Neuenfels abkupfert und damit den meisten Applaus erntet.
Allzu freundlich schwebt das greise Gespenst Sir Simon (Tom Erik-Lie) einher. Auf dem ferngesteuert fahrenden Sessel erlebt Virginia, die Tochter des Immobilienunternehmers aus Berlin, träumend die Vorgeschichte aus dem Jahre 1575, als der Feudalherr seine ihn nervende Gattin umgebracht hat. Stärker als die permanent nur in Reimen sprechenden Söhne des Maklers (Stephan Witzlinger und Fabian Guggisberg), teils auf Rollschuhen, teils bewaffnet mit Konfetti-MGs, singt und spielt sich Alma Sadé als die Empathie zum Gespenst entwickelnde Tochter Virginia in die Herzen den Publikums, die durch die Verbindung zum illegitimen Grafensohn David – dem sehr tragfähigen Tenor Johannes Dunz – entschädigt wird. Starke Rollenprofile bieten Christiane Oertel als dessen fallsüchtige Mutter und Haushälterin des Gespensterschlosses und Adela Zaharia als schrille Geliebte des von Carsten Sabrowski quirlig interpretierten Immobilienmaklers Dr. Georg König.
Der von Andrew Crooks einstudierte Chor ist nur partiell identisch mit den Untoten in Renaissance-Kostümen (von Gideon Davey), acht Damen und vier Herren unterstützen die durchwegs über Mikroports verstärkten Sänger hinter der Szene.
Der Berliner Komponist Marius Felix Lange hat diese Gruseloper als ein Auftragswerk des Opernhauses Zürich geschaffen. In der für die Deutsche Erstaufführung „gründlich überarbeiteten“ Version erweist sich die Partitur unter der musikalischen Leitung von Kristiina Poska als ein überaus tragfähiger Soundtrack der Geschichte. Der große Unterschied der gefälligen, durchwegs tonalen Partitur zum Musical liegt in den fehlenden Ohrwürmern und in einem großen Orchesteraufwand, der neben dreifachem Holz, Harfe, Klavier, E-Piano, Cembalo, Glockenspiel, Xylo- und Vibraphon umfasst und die Bassregionen durch das zum Fagott tretende Kontrafagott auslotet. Die witzigen Texte des Librettos von Michael Frowin gehen, soweit sie nicht von den beiden Söhnen des Immobilienmaklers im Duett gerappt werden, in der durchaus originell bis skurril instrumentierten Komposition unter – obgleich alle Stimmen mikrofonverstärkt erklingen.
Die aus Zürich übernommene Inszenierung erntete bei ihrer Premiere ausschließlich Zuspruch, mit heftigen Bravorufen und Füßetrampeln des mit Kindern ab sechs Jahren durchsetzten Premierenpublikums.
Wie in den Vorjahren ist zur Kinderoper der Komischen Oper Berlin auch wieder ein illustriertes Kinderbuch erschienen, diesmal im Berliner Verlag Jacoby & Stuart.