Übrigens …

Der Weihnachtsabend/Andreas Hofer im Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz

Auf dem Wege zur Revolutionsoper

In Albert Lortzings Wirken begegnen wir dem Biedermeier ebenso, wie dem Revolutionär. Das erste ist im Ausdruck zumeist vorherrschend, und das Zweite gilt es, in der szenischen Interpretation hervorzukitzeln – was beispielsweise Peter Konwitschny trefflich gelungen ist.

Ingolf Huhns Neuinszenierung des Singspiels Der Weihnachtsabend als en Remake seiner Freiberger Inszenierung mit neuem Ausstatter (Tilo Staudte) lässt die Figuren – Kinder wie Erwachsene – als zu klein geraten für die bürgerliche Welt erscheinen, sie reichen nicht einmal bis an die Türklinke. Als zu kleinwüchsig erscheinen auch die Musiknummern angesichts überlanger, redundanter Dialoge. Nur die ersten zwei Nummern des Vaudevilles sind eigene Kompositionen Lortzings, die anderen sind adaptiert von Mozart, Schubert, Friedrich Heinrich Himmel, Franz Xaver Eisenhauer und Niccoló Isouard. Lacher erntet der Regisseur, indem er die Szene vor dem Haus des bemittelten Privatmanns im Rahmen des Fensters platziert, wobei die handelnden Personen Gottlieb Finke (Marcus Sandmann), sein Suschen Schwalbe (Madelaine Vogt) und der Vetter Michel (Matthias Stephan Hildebrandt) wie Kasperlefiguren von unten auf- und wegtauchen und sich auch so bewegen wie handgeführte Puppen. Wer aber ist der Puppenspieler in dieser Versuchsanordnung? Die Frage bleibt offen. Das Kammerorchester der Elbland Philharmonie unter Naoshi Takahashi intoniert die Es-Dur-Feierlichkeit des Weihnachtsabends als „heilige“ Stimmung klangschön und sauber. Aber der Gesamteindruck der von Lortzing zusammen mit seiner Frau und vier seiner Kinder in mindestens zwei Städten wiederholt gespielten, wenn auch damals von nur zehn Instrumentalisten begleiteten „Launigten Szenen aus dem Familienleben“ bleibt vorherrschend bieder(meierlich).

Auf großes Interesse stieß die Ankündigung einer letzten, späten Lortzing-Uraufführung, des einaktigen Singspiels Andreas Hofer. Dass ein Bühnenwerk, welches verkündigte, „Bald bricht der Freiheit Morgen an“, im Jahre 1834 verboten wurde, ist wenig verwunderlich. Das im Auftrag der Albert-Lortzing-Gesellschaft von Irmlind Capelle herausgegebene Libretto zu Andreas Hofer erwähnt allerdings im Vorwort zwei vorangegangene postume „Uraufführungen“, eine Bearbeitung von Emil Nikolaus von Reznicek 1887 in Mainz, und „die wirkliche“ Uraufführung, in Originalgestalt, im Jahre 1853 in Weimar. Diesem Forschungsstand widerspricht die Annaberger Ankündigung; gleichwohl bleibt es das Verdienst Huhns, die erste Produktion seit mehr als anderthalb Jahrhunderten realisiert zu haben.

Mit Mistgabeln und Dreschflegeln begehren die Tiroler Bauern auf in einer Miniaturwelt von zweidimensionalen Berghügeln mitsamt aufgemalten Hütten und Kirchlein, die in den noch immer übergroßen bürgerlichen Raum des „Weihnachtsabends“ platziert sind. Lortzings groß angelegte, kämpferische Ouvertüre war bislang die einzig gedruckte Nummer aus diesem Opus. Auch in dieser Partitur greifen fünf der zehn Nummern zurück auf Kompositionen von Haydn, Weber, Spohr und Auber.

Das im damaligen Theaterbetrieb für ein gemischtes Ensemble aus singenden Schauspielern und Sängern besetzte „Vaterländische Schauspiel mit Gesang“, wie Georg Richard Kruse auf dem Autograph nachträglich definierte, ist in Annaberg durchwegs mit Gesangssolisten besetzt; nur der imposant nach einem historischen Gemälde kostümierte Bassist Leander de Marcel in der Titelrolle bleibt hinter den überdurchschnittlich guten gesanglichen Leistungen des Ensembles zurück.

Im Gegensatz zur Realität, der Erschießung Hofers, endet die Handlung des sich gegen die bayerische und französische Besetzung seiner Heimat auflehnenden Tiroler Freiheitskämpfers bei Lortzing als Happy-End: die Rücksicht auf die Zensur schuldet ein vorzeitiges Ende der Geschichte, melancholisch und mit Haydns Kaiser-Hymne als Apotheose. Aber immerhin zeigt ein Duett von Hofer und Joseph Speckbacher, dem Hauptanführer der Insurrection (László Varga) bereits jene revolutionären Krallen, die Albert Lortzing dann bei seiner Revolutionsoper Regina voll ausfahren sollte.

Die für diese Oper stärker besetzte Erzgebirgische Philharmonie Aue, der von Uwe Hanke einstudierte Chor, Solisten und Regieteam ernten am Ende des adventlichen Premierenabends dankbaren Applaus.