Von wallenden Umhängen, Rüstungen, Schwanenhelmen
Und wieder wagt sich das Theater Erfurt an eine Ausgrabung – wie mit schöner Regelmäßigkeit in den letzten Jahren. Dieses Mal inszeniert Intendant Guy Montavon Ernest Reyers Sigurd – eine quasi französische „Brünnhilden-Bezwingung“. Und das, was nach vielen Strichen von der über fünfstündigen Originalpartitur übrig bleibt, macht durchaus Lust auf mehr Musik von Ernest Reyer. Der komponiert überaus farbig, erweist sich als Meister der Instrumentierung. Da ist die Nähe zu Berlioz unverkennbar, man hört Offenbach und auch Wagner – eine überaus aparte, nie dümpelnde Mischung, die den Abend über wunderbar trägt.
Aber wie bringt man eine etwas angestaubte frühmittelalterliche Sagenerzählung im 21. Jahrhundert einigermaßen ansprechend auf die Bühne? Dazu greift Guy Montavon allzu beherzt in die Theater-Trickkiste. Er schafft eine Rahmenhandlung, die während des Zweiten Weltkriegs im zerstörten Worms spielt. Während dort Trümmerfrauen Steine klopfen, träumt die auf den Tod erkrankte Hilda sich in die Sigurd-Sage hinein. Das eröffnet Montavon die Möglichkeit, die auf der Bühne präsentierten Traumsequenzen in einen überbordenden Kostümfilm zu verwandeln. Man fühlt sich versetzt nach Hollywood: Ivanhoe und Co. lassen grüßen. Da wimmelt es vor wallenden Umhängen, blitzenden Rüstungen - und auch vor Schwanenhelmen wird nicht zurückgeschreckt. Das ist natürlich etwas fürs Auge. Ein weißbärtiger Priester des Odin, ein Hohes Paar in blinkenden kupfernen Rüstungen. Brunehilde, die im güldenen Nachen nach langem Schlaf zu den Menschen geleitet wird – und am Ende eine überdimensionale Sigurd-Statue, die nach dem Tod des Helden samt seines Schwertes auf die Bühne hochgefahren wird. Das hat alles etwas von einem prunkenden Realismus, den man nicht unbedingt mehr sehen möchte. Aber es ist alles ja halt nur ein Traum. Mit einer solchen Traumdeutung könnte man nun wirklich alles rechtfertigen. Doch Montavon lässt bei diesem Sigurd Fragen offen: Warum hat er den „aktualisierten“ Teil, der keine erkennbare Rolle spielt, in die Zeit um 1945 verlegt? Und auch auf die Frage nach der Relevanz von Reyers Sigurd für das Repertoire auf unseren Opernbühnen gibt er keine Antwort.
Musikalisch indes gerät der Abend äußerst erfreulich. Wegen des ausgezeichneten Solistenensembles, der hervorragend einstudierten Chöre – und vor allem wegen ihr: Joana Mallwitz. Seit Beginn der Spielzeit 2014/2015 ist sie Generalmusikdirektorin des Theaters Erfurt. Eine äußerst beachtliche Madama Butterfly hat sie dirigiert, auch Mozarts Entführung aus dem Serail. Nun also Reyers Sigurd. Eine ganz grandiose Arbeit! Weil sie das Philharmonische Orchester Erfurt (verstärkt von der Thüringen Philharmonie Gera) zu Präzisionsarbeit animiert. Blitzblank funkelt es aus dem Orchestergraben, bestens gerät die Koordination zwischen Orchester, Sängerinnen und Sängern. Der Duftigkeit der Musik gibt sie ebenso Raum wie deren Schwere und Gewalt – beides steckt, mit allen Zwischentönen, in dieser Partitur. Kein Wunder, dass Joana Mallwitz an diesem Premierenabend ganz besonderen Beifall erntet.