Übrigens …

Der Schwarze Obelisk im Theater Osnabrück

Faszinierend auseinandergebrochen

Kleine Kardinalfrage des postdramatischen Theaters: Wenn ich einen Roman auf die Bühne bringe, bin ich dann verpflichtet, seine Handlung zu erzählen? Eigentlich leicht zu beantworten: Natürlich nicht. Aber Unmut zieht man sich dann schon zu als Regisseur, wenn man den Text tatsächlich als Material verwendet, auseinanderbricht, ihn für die eigene Idee, die eigene Geschichte wieder neu zusammensetzt.

„Schauspiel nach Erich Maria Remarque“ nennen Marco Storman und sein Bearbeiter Carsten Golbeck ihre Version des Zwischenkriegsromans Der Schwarze Obelisk von Osnabrücks wohl berühmtestem Bürger aller Zeiten. Was den Regisseur daran interessiert, wird schnell klar. Ihm geht es um die gesellschaftliche Depression der mittleren und unteren sozialen Schichten, ihr Gefühl von der Politik verlassen, vom Leben abgekoppelt zu sein. Hier zieht Storman deutliche Parallelen zur heutigen gesellschaftlichen Situation. Immerhin spielt in Remarques Text aufkommender, dumpf-aggressiver Nationalismus eine große Rolle. Wer denkt da heute nicht an PEGIDA? Dass das Konzept großenteils aufgeht, obwohl keine Geschichte im engeren Sinne erzählt wird, liegt am Mut zur eigenen, manchmal durchaus rätselhaften Form und Ästhetik. Und vor allem an den fantastischen Schauspielern.

Da irrlichtert Stefan Ullrich als ‚Schatten‘ mit fast dämonischer Präsenz durch den Abend, mal Blaupause des Autors, mal Schicksalsahnung, mal zynisches Über-Ich. Da verkörpert Stephanie Schadeweg grazil und doch bodenständig die Utopie eines rettenden Liebesideals ohne sich gleichzeitig kokett als ideale Geliebte zu präsentieren. Stephan Haschke brilliert in kleinen Rollen, ist furchterregender Ober-Nationalist und fast noch stärker furchterregender Conferencier zum Ende hin. Seine Partnerin ist Anne Hoffmann, hier kalt lächelnder, überlegener Superschuss in –zig Erscheinungsformen. Ihre stille, nur von dezent wummernden Bässen untermalte, minutenlang statisch ausgedehnte Annäherung an die Hauptfigur gerät – trotz fast völliger Abwesenheit von Bühnenaktion – zu einem ganz und gar merkwürdigen Höhepunkt dieser merkwürdigen, sehr schwer beschreibbaren Aufführungen. Der Protagonist Ludwig ist Patrick Berg, ein sensibler Leidensmann als Möchtegern-Optimist. Man mag ihn. Und seinen Freund den Georg von Dennis Pörtner, den mag man auch. Beide haben ein Kriegstrauma. Ludwig vergräbt es in sich und den Frauen, Georg zeigt es vor, versucht es kantig wegzulächeln und muss es doch bei sich behalten.

Man glaubt Storman und seinen Schauspielern also ihre Verwundungen. Man glaubt auch, dass sie denen vieler Menschen von heute ähneln. Nicht zuletzt durch das Einbeziehen des Publikums. Es wird befragt, darf/soll teilweise mit Fähnchen wedeln (warum machen die das?), eine „Freiwillige“ wird sogar auf die Bühne gezwungen, dort fast buchstäblich im Regen stehen gelassen und am Ende zur Belohnung in die reguläre Applausordnung eingebunden. Ja, die Verwundungen sind gleich, aber die Ursachen nicht. Und die Folgen auch nicht, PEGIDA hin oder her. Der Schwarze Obelisk in Osnabrück ist spannendes, sehr ungewöhnliches Schauspielertheater ohne Masken, unterhaltsam und nachdenkenswert. Aber der Behauptung dieses Abends kann kein Beweis folgen.