Übrigens …

Triple Sec/Blue Monday im Berlin, Konzerthaus

Staubwedel, Bar und Lindwurm

Das Konzerthaus Berlin war einst als kleinere Bühne der Hofbühne Aufführungsstätte unter anderem der Uraufführung von E. T. A. Hoffmanns Oper Undine. Im Dritten Reich Deutsches Schauspielhaus, wurde es in der DDR zum reinen Konzerthaus. Seit nach der Wende gibt es sowohl auf der großen Bühne als auch im Werner-Otto-Saal wieder szenische Opernproduktionen. Im Rahmen des derzeitigen Festivals „Mythos Berlin“ waren jetzt zwei selten zu hörende Kurzopern zu erleben. Der im Jahre 1964, im Alter von 58 Jahren von Strichern auf Martinique ermordete Komponist Marc Blitzstein war ein erklärter Kommunist. Der Freund von Leonard Bernstein komponierte Broadway-Opern und Musicals, Film- und Kammermusik. Sein Opernsketch Triple-Sec sollte ein Jahr nach der Uraufführung, 1930 in Darmstadt in deutscher Sprache herauskommen, aber bis zur deutschen und zugleich europäischen Erstaufführung dauerte es nun doch bis zum Jahre 2015.

Der Operneinakter ist im englischen Original zu erleben und – inzwischen ungewöhnlich genug – ohne Übertitel. Der Werner-Otto-Saal, quer bespielt, wird mit Bar und Bar-Tischen vor der kurzen Revuebühne zum Nachtclub. Der Ausschank ist bereits eine Stunde vor Aufführungsbeginn geöffnet und lädt, unterstützt von einem Trio des modern art ensemble mit Evergreens der Zwanzigerjahre zum Genießen von Drinks ein. Der Barkeeper ist, wie sich später herausstellt, selbst ein Sängerdarsteller (Yakov Strizhak), und der (hier weiblich besetzte) Conferencier (Katharina von Bülow) begrüßt das Publikum, als die Operhandlung verspätet endlich beginnt, mit „Hello Suckers!“

Schließlich geht es in der kurzen Geschichte einer außerehelichen Beziehung des Lord Silverside (Johannes Dunz) um Verdopplungen und Vervielfachungen durch Alkoholgenuss. Geraucht wird nur pantomimisch, aber rauchvernebelt wird der Raum durch Staubwolken aus dem Staubwedel des Stubenmädchens (Erika Buchholz). Nachdem sich eine unbekannte, aufdringliche Dame (Ricarda Gross-Khatchturian) verdoppelt und Lady Betty (Nina-Maria Fischer), die Geliebte des Lords, sich verdreifacht hat, versechsfacht sich das Stubenmädchen und aus einer Bodenklappe, über die der Diener Hopkins (Martin Schubach) – wie in Dinner for one – mit Regelmäßigkeit gestolpert war, schlüpft ein Rauch speiender Drache. Die Lampen fahren, parallel zur Ratsche im Orchester, auf und nieder. Die akustisch mehrstimmige Vervielfachung der Protagonisten ist ein Genuss, und das groß besetzte Orchester unter der engagierten Leitung von Evan Christ, neben der Bühne angesiedelt, rückt Blitzsteins gekonnt instrumentierte Partitur in die Nähe von Strawinsky und Weill. Nahtlos folgt der Operneinakter Blue Monday von George Gershwin aus dem Jahre 1922. Die tatsächlich erste Jazz-Oper, noch vor Kreneks Jonny spielt auf, bietet, wie stets bei diesem Komponisten, mitreißende musikalische Ideen. Eine Liebesschnulze á la Puccini, als ein Liebeslied an die Mutter, gibt der Tenor gleich zweimal zum Besten – das zweite Mal, nachdem ihn die eifersüchtige Geliebte erschossen hat – ganz ohne Ursache, wie sich herausstellt. Der von Rainer Bösel (Bühnenbild) und Kathrin Kath (Kostüme) mit Liebe zum Detail farbenfroh abgestimmte Abend ist nach 50 Minuten bereits zu Ende.

Deutlich länger war der Eröffnungsabend des Festivals mit dem Konzerthausorchester Berlin, das unter Markus Stenz Kompositionen von Ferruccio Busoni (Tanzwalzer op. 53, „Dem Andenken Johann Strauß"), Franz Schreker („Vom ewigen Leben" und "Der Geburtstag der Infantin"),  Hanns Eisler (Suite Nr. 3 aus der Filmmusik "Kuhle Wampe"), Alban Berg (Drei Bruchstücke aus „Wozzeck") und Heinz Tiessen ("Vorspiel zu einem Revolutionsdrama) auf höchstem Niveau ziselierte. Der Berlin-Bezug der Kompositionen – zwischen Glanz und Elend – wurde durch projizierte Stummfilm-Zwischentitel sicht- und vom bestens disponierten Klangkörper glänzend und gespenstisch umgesetzt hörbar. Annette Dasch sang Schrekers Whitman-Gesänge und die „Wozzeck“-Marie auf hohem Niveau, aber mit wenig Textverständlichkeit, und Markus Stenz machte die groß besetzte, späte Staatsopern-Fassung von Schrekers frühem Sezessions-Ballett Der Geburtstag der Infantin zu einem klangrauschenden Ereignis.