Übrigens …

Pierrot sucht Lohengrin im Staatsoper Berlin

Erinnerungs-(Staats-)Oper im Kopf

Der Theatertycoon Max Reinhardt war der erste Regisseur, der Wege zu einem jenseits der Sprachgrenzen international verständlichen Theater beschritten hat. Seinen von Carl Vollmoeller für ihn verfassten und dann auch verfilmten Pantomimen Eine venezianische Nacht und Mirakel (komponiert von Engelbert Humperdinck) ging Freksas Pantomime Sumurun voraus, die 1910 im Deutschen Theater ihre Uraufführung erlebte, 1911 in London und 1912 in New York gastierte. Die Verfilmung mit Pola Negri wurde vor einigen Jahren vom Deutschen Filmarchiv restauriert und mit neuer Musik versehen, da die Originalkomposition von Victor Hollaender (1866 bis 1940, der Vater des Filmkomponisten Friedrich Hollaender) als verschollen galt.

Uwe Hilprecht, der musikalische Leiter des 2009 mit Instrumentalisten der Staatskapelle Berlin gegründeten „Salonorchesters Unter'n Linden“ hat auf Grundlage eines Klavierauszuges Hollaenders Komposition höchst originell nachinstrumentiert. Einige – leider all zu kurz gewählte – Ausschnitte aus der abendfüllenden, sieben Szenen umfassenden „Extraordinary Pantomime“ zeigen den Überbrettl-Komponisten als einen Meister seines Fachs mit dem sicheren Instinkt, die Hörer mit seiner eigenwilligen Mixtur von Moderne, Exotismus und Revue mitzureißen.

Den Schwerpunkt des ersten Teils bildete eine durch farbige Lichtstimmungen unterstützte Darbietung des Pierrot Lunaire – nicht in der Komposition von Arnold Schönberg, sondern – im selben Jahr wie Schönbergs Melodram entstanden – in der Komposition von Max Kowalski (1882 bis 1956). Dessen Zyklus von zwölf Liedern – in der Giraud-Übertragung durch Otto Erich Hartleben – fordert den namensgleichen, aber nicht verwandten Solisten zu zahlreichen Registerwechseln zwischen Alt- und Baritonlage und männlicher Sprechstimme heraus, denn Jochen Kowalski moderiert die einzelnen Gesänge auch an und betont etwa, dass ein besonders raffiniertes Lied dem „Generalmusikdirektor Dr. Max Reger“ gewidmet ist.

Vor dem zweiten Teil des Abends begrüßte der (Bass-)Klarinettist des siebenköpfigen Instrumentalensembles, Matthias Glander, den langjährigen, inzwischen 101-jährigen Ex-Intendanten der Staatsoper, Hans Pischner. Damit schlug er den Bogen zu dem bis 1925 als Intendant fungierenden Komponisten und Dirigenten Max von Schillings. Aus dessen Oper Moloch erklang das „Erntefest“, erstmals seit Jahrzehnten wieder in Berlin; allerdings schafft die orchestrale Reduktion nur einen schwachen Abglanz des im Original von sattem Streichkörper erfüllten, leuchtend mitreißenden Vorspiels zum dritten Akt.

In den sich anschließenden Lohengrin-Auszügen hingegen brillieren die Soloinstrumentalisten, die jene Partien so oft gespielt haben, dass sie diese merklich inwendig beherrschen, obgleich sie in Hilprechts Arrangement wiederholt auch andere Parts übernehmen müssen, etwa die Flötistin Christiane Weise die Hornrufe.

Etwas unausgewogen zwischen Parodie, nostalgischem Bericht der „besseren“ Opernzeiten der frühen „Ostzone“ im Gegensatz zu den „Westzonen“ und einem Opernführer á la Loriot (mit den ironisierten originalen Regieanweisungen Richard Wagners), garniert mit den im Sprechgesang (bei König Heinrich, Telramund und Lohengrin) oder singend (Ortrud, Elsa) vorgetragenen Passagen des früheren Staatsopern-Requisiteurs und erklärten Möchtegern-Lohengrins, zieht sich die Nacherzählung hin. Mit Projektionen – und Blitzen, jedes Mal wenn Kowalski von den blitzenden Augen des Titelhelden spricht – unterstützt Volker Tietböhls Einrichtung den paraszenischen Erzählduktus des auch im Schauspiel aktiven Sängers. Für unfreiwillige Komik sorgt, wenn der Berliner Kammersänger anmerkt, die Lohengrin-Tenöre sängen „Mein lieber Schwan“ oft zu tief und bei seinen gesungenen Beispielen dann selbst zu tief intoniert.

Das Publikum in der nicht ausverkauften Staatsoper spendet eifrig Applaus und erzwingt als Zugaben den Faust-Walzer aus Gounods Oper und Paul Dessaus „Lied von der Ratt’“, wobei die Instrumentalisten auch selbst den Refrain singen.

Näher gelegen hätte nach der Wagner-Opernparaphrase Wagners frühe Vertonung dieses Faust-Liedes, und auch eine andere Chance wurde verschenkt: der Gesang des Schwanes vor seiner Rückverwandlung in den brabantischen Thronfolger Gottfried, in Wagners Ur-Urfassung enthalten, ist eine optimale (Original-)Partie für einen Altisten, wie es im September vergangenen Jahres der Counter Daniel Gundlach in einer szenischen Aufführung in Solingen bewiesen hat.