Wie Arbeitslosigkeit die Liebe zerstört
Über ihnen zieht ein Zeppelin seine Bahn. Karoline ist wie verzaubert, sieht verzückt in den Himmel überm Oktoberfest. Kasimir, ihr Bräutigam, sieht das völlig anders: Dort droben vergnügen sich die „hohen Herren“ und gucken auf ihn herab. Auf ihn, den Chauffeur, den sie „abgebaut“ und in die Arbeitslosigkeit katapultiert haben. Es sind die Jahre zwischen 1929 und 1933, in denen Ödön von Horváth, seinerzeit selbst knapp 30 Jahre alt, den Beiden ein liebenswertes Denkmal gesetzt hat.
Es sind ein Abend und eine Nacht auf dem Rummel. Am Morgen danach ist die Liebe zwischen Kasimir und Karoline zerbrochen. Existenzangst, Misstrauen und Alkohol waren eine zerstörerische Mischung eingegangen. Dabei wollte die junge Büroangestellte doch nur einmal Achterbahn fahren, Eis essen und sich ein bisschen unbeschwert freuen. Ob nur sein Job-Verlust die Beiden entfremdet hat, ob sie nach Höherem, sprich: nach Aufstieg in die Gesellschaft strebt - klar ist die Antwort nicht. Klar ist nur, dass „die Verhältnisse“ ihre Liebe scheitern lassen.
Nie lässt den Zuschauer im Zürcher Schauspielhaus, dem „Pfauen“, der Gedanke los, dass es Parallelen zur heutigen Situation in Europa gibt. Ist die Krise im heutigen Griechenland, zudem in Spanien und anderswo, vielfach sogar nicht wesentlich härter als zu Horváths Zeiten? Kasimir und Karoline - das wäre ein Paar im heutigen Hellas, das an Authentizität kaum zu überbieten wäre. Aber in Zürich, Europas Hauptstadt auf einer vermeintlichen Insel der Seligen, Steueroase, Geldzentrum und saturierter Hort der Selbstzufriedenheit? Der einhellige Schlussapplaus nach kurzen eindreiviertel Stunden ließ erahnen, dass Barbara Webers unprätentiöse Inszenierung überzeugte - und Horváth auch in der Schweiz von heute angekommen ist.
Das Oktoberfest ist hier die Welt der Kleinbürger, der Kleinkriminellen, aber auch der großen kapitalistischen Gauner, die sich das Beste aus diesem „Sumpf“ herausfischen. Wie Unternehmenschef Rauch, der Karoline als leichte Sex-Beute vor sich sieht.
Drei sich um die eigene Achse drehende Neonleuchten, im Vergnügungslicht silbern schimmernde Lametta-Streifen: Mehr Glitzer braucht Webers Inszenierung nicht, um diese Welt aus Schein, falschen Gefühlen und Misstrauen kenntlich zu machen. Marie Rosa Tietjens Karoline, eine patente junge und selbstbewusste Frau, ist zunehmend zerrissen zwischen ihrer Liebe und Treue zu Kasimir und der Sehnsucht, aus diesem Rahmen auzubrechen. Christian Baumbachs Kasimir, der Pessimist – „Jeder intelligente Mensch ist ein Pessimist“ - , zerstört seinerseits durch Misstrauen und Sturheit ihre Bindung und Seelenverwandtschaft.
Im Auf und Ab der Gefühle, im Rausch der Oktoberfest-Scheinwelt überzeugt die Inszenierung zudem immer wieder durch dramaturgisch geschickt eingefügte Momente der Ruhe, ja der Stille. Darin dem Autor folgend, dem sein Stück eine „Ballade von stiller Trauer, gemildert durch Humor“ war.
Kein großer, aber im Verlaufe der pausenlosen Aufführung zunehmend überzeugender Theaterabend.