Übrigens …

Die Schutzbefohlenen im Berliner Theatertreffen

„Wir können euch nicht helfen, wir müssen euch doch spielen!“

Elfriede Jelineks sich an Aischylos’ Schutzflehenden reibende Texte, die archaische Momente durch heutige Wortspielereien ad absurdum führen oder brechen, bezieht sich auf die Besetzung der Wiener Votivkirche im Jahr 2012 durch pakistanische Flüchtlinge. Lampedusa-Flüchtlinge aus der Hamburger St.-Pauli-Kirche hat Regisseur Nicolas Stemann in seine Inszenierung der Schutzbefohlenen integriert.

Die Entscheidung der Juroren, diese Produktion des Thalia-Theaters an den Anfang des 52. Berliner Theatertreffens zu stellen, ist eine politische und in erster Linie politisch zu begründen. Denn Elfriede Jelinek hat treffendere innovative Texte verfasst und Nicolas Stemann hat auch schon sehr viel spannendere, den Punkt treffende Inszenierungen von Klassikern und auch von Jelinek gestemmt. Eine Besonderheit der Berliner Aufführung ist quasi die dritte Uraufführung dieses Textes, denn die Neufassung integriert vier in Berlin ansässige Flüchtlinge in den Ablauf der Aufführung, und sie spannt textlich und auf einer Texttafel den Bogen von Hamburg-Pöseldorf nach Berlin- Wilmersdorf in der Argumentation eingesessener, wohl situierter Bürger gegen Flüchtlingslager.

Jelineks durchaus witzige Texte, von den Schauspielern mit Blättern in den Händen, aber doch relativ frei vorgetragen, reiben sich bewusst mit der Übertitelung in englischer Sprache und nehmen darauf Bezug, indem sie diese zur Kenntnis nehmen und quasi improvisierend darüber reflektieren. Einen Höhepunkt bietet eine neue Szene, in der drei Hamburger Schauspieler einen farbigen Berliner Schauspieler-Kollegen radebrechend befragen und partout missverstehen wollen, obgleich der ein mindestens ebenso einwandfreies Deutsch spricht. Viele Texte sind im Verlauf des pausenlos zweieinviertelstündigen Theaterabends zweimal zu hören, einmal von Profis, dann von den authentischen Flüchtlingen als Laien sowie zwei farbigen Schauspielern als Profis. Ernest Allan Hausmann, Felix Knopp und Sebastian Rudolph, Daniel Lommatzsch und Barbara Nüsse sind ebenso eingeschworene, überzegende Stemann-Interpreten, wie die hinzukommenden Isaac Lokolong und Dennis Roberts. Und immer wieder setzen die Dialoge auf tiefer gehenden Wortwitz: „Wir können euch nicht helfen, wir müssen euch doch spielen.“ In der Bildwelt sich überlagernder Videoprojektionen und Stills im leeren Bühnenraum erscheint allerdings Vieles arg beliebig, wie das von der Kamera auf die runde Projektionsfläche übertragene Waschen der Hände in einem Aquarium (der Unschuld?). Eine Gekreuzigten-Plastik sorgt für Reibung vor dem wabernden Illuminaten-Auge der Ein-Dollarnote. In der Live-Musik-Darbietung wechseln sich atmosphärisches Bass-Saiten-Brummen des Flügels und elektronisches Glockenspiel ab mit einem Musical-Songton á la Grips-Theater.

Nach Betroffenheitsstille am Ende einhelliger Applaus für Schauspieler und den Chor der Flüchtlinge aus dem Iran und aus Afrika. Vor die offizielle Festival-Einweihung mit obligatorischen Ansprachen und einem opulenten Buffett wurden noch Tischgespräche mit Experten zum Thema, darunter auch einem Vertreter von „Ärzte ohne Grenzen“, auf der Bühne abgehalten, um auch auf diese Weise die Wichtigkeit und Vorrangigkeit des Flüchtlingsthemas zu betonen.