Sprechsymphonik zwischen Gräberhügeln
Eine Frau hat in den letzten Tagen des dritten Reichs einen mit seinem Vater telefonierenden, vom Desertieren träumenden Soldaten angezeigt und an den Galgen gebracht. Im Nachkriegsösterreich angezeigt, wird sie, die niemals einsehen wird, etwas Unrechtes getan zu haben, von einem „Volljuden“ zu 12 Jahren Haft verurteilt.
In der Inszenierung von Robert Borgmann erhängt sie sich am Ende selbst. Im Gegensatz zur Tochter der Verurteilten, forscht die Enkelin in der Vergangenheit und in den Aufzeichnungen ihrer Großmutter und will der Wahrheit auf die Sprünge kommen. Die beiden jüngeren der Frauen schlüpfen ganz konkret in frühere Situationen der Alten, etwa in einer homoerotischen Liebesszene, die der Alten im Hospital widerfährt. Die in der dritten Generation Unverheiratete, Die Junge, hat Probleme mit ihren ständig wechselnden Geschlechtspartnern; dass sie diese mit ihre Handy im Schlaf fotografiert, wird ihr schließlich zum Verhängnis, denn einer dieser Männer prügelt sie dafür zu Tode. Weiter gibt es vier Schwestern, die wie ein griechischer Chor die Gerichtsverhandlung um die NS-Denunziantin in verschränktem Erzählduktus zum Besten geben. In wechselnden Kostümen, weißen Kleidchen, als Krankenschwestern und Aufsichtspersonal, schließlich mit Hitlerbärtchen, manifestieren diese „Hundsmäuligen“ (Sabine Haupt,Alexandra Henkel,Sylvie Rohrer, Petra Morzé) die Kontinuität einer faschistoiden Gesellschaftsordnung.
In seinen Wortspielen erinnert der 1978 in Linz geborene Dramatiker Ewald Palmetshofer bisweilen an Elfriede Jelinek und in seinen besten Momenten an Heiner Müllers Sprachgewalt. Seine Satzverschachtelungen und die immer wieder und häufig aus anderem Munde aufgegriffenen Satzteile erscheinen im Verlauf des pausenlosen, zweieinviertelstündigen Abends wie die Motive und Themen einer großen, symphonischen Wortkomposition. Als Fremdzelle, wie eine Einleg-Arie, wirkt der sprachlich fesselndste Moment, ein Monolog der Elektra, den Die Mittlere, von einem Eimer Blut übergossen, deklamiert. Hier endlich darf Christiane von Poelnitz zur Hochform auflaufen. Facettenreich spielt Stefanie Reinsperger Die Junge, und als ein geradezu wieder erkennbares Abziehbild der trotzig auf seinem Weltbild beharrenden Kriegsgeneration verkörpert Elisabeth Orth Die Alte.
In seinem eigenen Bühnenbildkasten aus Lichtröhren, mit einem Schrank als Auftrittstür, hat Robert Borgmann die Uraufführungsproduktion als Zeitengemisch zwischen frisch aufgeschütteten, erdigen Gräberhügeln inszeniert. Die sprachliche Verschachtelungstechnik des Autors erhält durch den häufig fallenden Vorhang, durch das Flackern der oft blendend hellen Lichtröhren, und durch wiederholt aufflammendes und erlöschendes Licht im Zuschauerraum ein optisches Pendant.
Mit österreichischer Volksmusik auf dem Akkordeon begleitet Die Junge die erste Erzählung ihrer vergangenen Nacht, repliziert mit tonlosem Gebläse die Geräusche des neben schnarchenden, sein Flugzeug verschlafenden Mannes. Und parafilmisch, melodramatisch untermalt webermichelson das sonstige Geschehen, mal atmosphärisch mit Donnerblech oder Regenstamm, mal mit einem Rapsong-Tanz „Thomas Bernhard“ und besonders gern mit ostinatem, nervenden Handyklingeln.
Auch nach dieser Aufführung des Theatertreffens wird die von einer Reihe Berliner Theater und dem Theatertreffen selbst unterzeichnete Proklamation gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und des Berliner Senats verlesen, gekoppelt mit einem Spendenaufruf zum Wiederaufbau des durch Brandanschlag zerstörten Kreuzberger Flüchtlingsheims „Haus der 28 Türen“. Dass dies allerdings aus dem Munde einer der Hitler-bärtigen Hundsmäuligen und mit einer dem Applaus Ruhe gebietenden Führergeste erfolgt, gibt der guten Absicht einen seltsam kontraproduktiven, agitatorischen Anstrich.