Drama ohne Psyche
Deutschland am Ende. Perspektivlose Menschen ziehen in eine Dreier-WG, geben sich Halt und erfinden sich neu: Als eiskalte Mörder, offenbar gewissenlos, getrieben von einem undefinierbaren Hass gegen das Andere. Das ist die gängige Geschichte, wie sie in Deutschland um die Dönermorde erzählt wird.
Inzwischen ist viel bekannt geworden über das Vorgehen von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt: Wie sie Risiken in Kauf nahmen - etwa das Töten am hellichten Tage, in belebten Gebieten. Wie sie die Resonanz der Medien auf ihre Morde analysierten, weiter machten mit ihren Taten nach durchschaubarem Schema, das eindeutig auf fremdenfeindliche Motive hindeutete und sich selbst in der Heimeligkeit der Bürgerlichkeit dafür feierten, kurz: wie sie die Polizei an der Nase herum führten. Mittags Türken töten, abends Ouzo beim Griechen picheln - der letzte Kick!
Beim näheren Hinsehen stellt sich die Frage, ob unsere wunderbare Gesellschaft, die ihr kollektives Gewissen mit Sonntagsreden und Rettungsschirmen über Wasser hält, so viel Zynismus einfach nicht aushalten kann. Der Fall NSU ist ein Beispiel dafür, wie viel Unglück angerichtet werden kann, wenn diejenigen, die hinsehen müssten, einfach wegschauen.
Elfriede Jelinek verschenkt in Das schweigende Mädchen dieses brisante zeitgeschichtliche Thema. Wer ist diese Zschäpe, die ihre beiden Mitbewohner bemutterte, möglicherweise trickreich für ihre Ziele benutzte, steuerte, manipulierte?
Klar ist Theater nicht dazu da, Wahrheiten zu kreieren, wo es keine gibt, aber ein bisschen mehr Psychologie über Beate Zschäpe hätten die Zuschauer im Deutschen Theater beim Gastspiel des Stückes der Münchner Kammerspiele innerhalb der Autorentheatertage schon verdient gehabt.
Das schweigende Mädchen wird von der Star-Autorin in der Inszenierung von Johan Simons von verschiedenen Seiten beleuchtet, und nach irgendeiner höheren Theater-Logik ist es auch schlüssig, sich der Psychologie einer Frau, die nichts zu ihren Motivationen gesagt hat, über die Interpretationen Dritter zu nähern.
Die Schauspieler reihen sich in der quasi szenischen Lesung auf der Bühne auf - links Mami Mundlos, rechts der Richter - und beziehen Stellung zum Fall inklusive intellektueller Rhetorik-Querverweise, beispielsweise aus Paul Celans Todesfuge: Dass in Deutschland das Andere schon einmal massiv bekämpft wurde, darauf wäre der Zuschauer auch alleine gekommen, liebe Elfriede!
Ich erfahre also nichts Neues über diese Frau, die ihre Lebensenergie dem Bösen gewidmet hat. Wäre ja auch zu schön gewesen.