Übrigens …

Turandot im Bregenz

Rätseldrachen als kreisrunde Videoprojektion

Wie ein steinerner Drache erhebt sich die Chinesische Mauer in der Neuinszenierung der Turandot bei den Bregenzer Festspielen aus dem Wasser des Bodensees. Aber das für seine gleichermaßen faszinierenden wie aufwändigen und technisch verblüffenden Open Air-Lösungen bekannte Festival, dessen spezifische „Bregenzer Dramaturgie“ unter der Intendanz von David Pountney trefflich kulminierte, hat für Puccinis letzte Oper wenig Eigenwilliges zu bieten. Gewiss ist die 20 Meter hohe, 72 Meter breit gespannte Dekoration imposant, aber sie wird wenig genutzt. Während der Illusionist David Copperfield problemlos von einer Seite der Chinesischen Mauer auf die andere gelangt, poltern in Bregenz mit Musikbeginn in der Mitte der Mauer zahlreiche Steine, um so den Weg für die Darsteller auf die Hauptspielfläche zu ermöglichen. Die ist eine fahrbare, schräg gelagerte Drehscheibe, stark an die Bühnenlösung in Wolfgang Wagners Inszenierung des Tannhäuser erinnernd.

Das Spiel um die Rätsel der Turandot beginnt noch vor dem Fortissimo-Einsatz der trefflich disponierten Wiener Symphoniker: In der Maske des Komponisten betritt Calaf ein vorgelagertes, kleines blaues Zimmer und agiert stumm zwischen Bett und Klavier, mit Notenpapier und chinesischer Spieluhr. Der Abbruch der Partitur durch den Tod Giacomo Puccinis, den eine solche Raumlösung nahe gelegt wird, findet dann aber in der Inszenierung nicht statt. Paolo Carignani dirigiert die pausenlos zweistündige, nahtlos mit dem verkürzten Schluss von Franco Alfano endende Version. Zum finalen, thematisch das „Nessun dorma“ aufgreifenden Ensemble sprühen – anstelle des für die Bregenzer Festspiele obligatorischen Feuerwerks – beleuchtete Wasserfontänen. Solche Reduktion wirkt wie ein Sparkonzept der neuen Intendantin Elisabeth Sobotka, hängt jedoch primär mit Optik des Bühnenbilderregisseurs zusammen. Denn Marco Arturo Marellis Dekoration könnte ohne dramaturgische Verluste auch an jedem anderen Ort aufgebaut sein. Selbst die einmal mit der Prinzessin anlegende, lampionbehängte Barke gleitet zwar über das Wasser, bringt es aber nicht ins Spiel. Auch gibt es keine der an diesem Ort beliebten Wasser-Stunts, statt dessen agieren Turner und folkloristisch anmutende Fackel- und Fahnenschwinger. Nur einmal platscht anstelle des geköpften persischen Prinzen ein kopfloser Dummy von der Mauer ins Wasser – aber er könnte andernorts genauso gut auf festen Boden fallen.

Gefällige Arrangements einer rhythmisch schreitenden, grauen Komparserie mischen sich mit dem stereofon übertragenen Chorklang von Prager Philharmonischem und Bregenzer Festspielchor: Mit LED-Lampen in wechselnden Farben illuminierte Pappkameraden einer nachgebauten Terracotta-Armee leuchten vor den Bühne (halb im Wasser) und fortgesetzt am Horizont als die „Verstorbenen“.

Hinter dem Kaiser im Rollstuhl (Manuel van Senden) spannt sich der Deckel der zentralen Drehbühne als kreisrunde Videowand mit kitschig bunten Rätseldrachen und einer farblich wechselnden, unnahbaren Maske der Turandot. Auf der Rückseite der schräg gelagerten Drehbühnenfläche konservieren die drei revueartig choreographierten Minister Ping, Pang und Pong (Thomas Oliemans, Peter Marsh und Kyungho Kim) die abgeschlagenen Köpfe der Bewerber um die Hand der Prinzessin in Spiritusgläsern.

Solopartien sind bei den Bregenzer Festspielen alle doppelt bis dreifach besetzt. Kattrin Kapplusch in der Titelpartie bleibt stimmlich, auch am Ende, wenngleich dann im roten Kleid, eine Prinzessin aus Eis, Arnold Rawls müht sich redlich um die Partie des ihre Rätsel lösenden, unbekannten Prinzen und kann beim Wunschkonzertschlager „Nessun dorma“ im Mittelfeld berühmter Interpreten mithalten. Am besten gefiel mir in dieser Aufführung Dimitry Ivashenko als Calafs Vater Timur und Yitian Luan als ergreifende Sklavin Liù, deren Kostüm Puccinis Hausgehilfin assoziiert, Doria Manfredi, die sich nach einer Beziehung mit dem Komponisten das Leben genommen hat. Doch die hier zaghaft intendierten Parallelen zwischen der Biographie des Komponisten und der Entstehungszeit sowie der gespielten Zeit der märchenhaften Handlung dürften dem Gros der knapp 7000 Besucher der ausverkauften Aufführung unklar geblieben sein.