Naturdrama in Innenräumen
Die Druiden-Priesterin Norma hat im von den Römern besetzten Gallien ein verbotenes Verhältnis mit dem römischen Prokonsul Pollione und mit diesem bereits zwei gemeinsame Kinder. Nun droht sie den Geliebten an die junge Priesterin Adalgisa zu verlieren. Am Ende gesteht Norma den Galliern den Bruch ihres Gelübdes und geht mit dem ungetreuen Mann in den Tod.
Die Bartoli ließ sich für diese Titelpartie, wie sie selbst sagt, inspirieren von Anna Magnani in dem Film Rom, offene Stadt aus dem Jahre 1945. Durch das Regie-Duo Moshe Leiser und Patrice Caurier ließ sie die in vorchristlicher Zeit bei den alten Galliern spielende Handlung in das Frankreich des Zweiten Weltkriegs verlagern, in zwei Innenräume einer Schule als Ort der Resistance gegen die Nazis im Vichy-System. Noch vor dem Orchestervorspiel beginnt die Handlung mit dem Klingeln einer Lehrerin zum Unterricht und dem Bilden einer Zweierreihe für die Kinder unter Aufsicht der Pädagoginnen, während draußen, mit Vögelgezwitscher, behelmte Soldaten patrouillieren und ein Geheimpolizist den Raum kontrolliert.
Das Vorspiel, in dem der helle Harfenklang dominiert, wird optisch unterschnitten: die Schule wird zum nächtlichen Treffpunkt der Widerständler. Blutige Leichen werden weggeschafft und Oroveso (Michele Pertusi) verliest aus einem Buch den Druidenaufruf wie in Geheimsprache. Die Bekenntnisse des römischen Führers Pollione im Rezitativ mit Flavio sind nicht ganz so ernst gemeint, er unterbricht seine Aussagen durch lautes Lachern und meint auch das „Io tremo“ offenbar als Witz. Dass er Bücher aus dem Regal wirft, muss Polliones Getreuer teuer bezahlen: die Franzosen metzeln ihn nieder und verscharren ihn unter dem Fußboden das Schulhauses (Bühne: Christian Fenouillat).
Unversehens gewinnt die originale Spielvorlage die Oberhand, wenn Norma beim Volk als Zeichen des Zuspruchs grüne Zweige einsammelt um damit, sehr warm timbriert, im Piano ihr „Casta diva“ anzustimmen; das leise Nachspiel geht im Applaus der Bartoli-Fans unter. Piani dominieren auch in der Szene zwischen Pollione und seiner neuen Geliebten Adalgisa, Stirn an Stirn innig beginnend und als Liebesakt im Bett endend. Wie eine Zensur senkt sich eine schwarze Courtine für die Szene zwischen Norma und ihrer Dienerin Clotilde (Liliana Nikiteanu) vor das Geschehen im großen Raum des Schulhauses. Norma gibt ihrem Baby die Brust, dann rückt sie einen Schrank vor das Zimmer ihrer illegitimen Kinder. Das Terzett zwischen Pollione, Norma und Adalgisa ist einer jener Momente, wo die neue Partitur deutlich mehr Musik aufweist. Ovationen bereits in der Pause.
Beim Vorspiel zum zweiten Akt hält Dirigent Giovanni Antonini mit dem tief gestimmten und mit Originalinstrumenten besetzten Orchestra La Scintilla, in dem nur die Hörner keinen so guten Abend haben, sehr schön die Schwebe zwischen Klassik und Romantik. Norma greift zur Flasche, lässt sich dann aber von Adalgisa ermuntern und will ihr die Kinder anvertrauen: nun erlebt der Zuschauer neben der viel strapazierten, aber gut gemachten stummen Babypuppe auch ein verschlafenes, offenbar durch die nächtliche Unruhe erwachtes Mädchen. Später schminkt sich Norma, in der Hoffnung, Adalgisa werde Pollione bewegen, zu ihr zurückzukehren. Normas drei gewaltige Schläge gegen das Schild des Gottes Irmensul sind Schläge gegen die sich daraufhin wieder hebende Courtine. Im Schulraum, wo Oroveso sich die Hände an einem Ölfass wärmt, facht Norma die nächtlich erneut versammelten Druiden zum Kampf gegen die Besatzer an. Als der im heiligen Hain des Tempels (dafür gibt es allerdings keine szenisch neuere Entsprechung!) aufgegriffene Pollione gebracht wird, soll sie ihn mit einer Pistole erschießen. Aber in der solistischen Zweierszene greift sie doch lieber zum vertrauten Dolch. Nachdem die ihren Vater mit Mühe bewogen hat, sich um seine Enkelkinder zu kümmern, werden Nora die Haare kurz geschnitten. Dann lässt sie sich, gemeinsam mit ihrem ungetreuen römischen Geliebten, opfern: hohe Flammen schlagen vor dem und im Schulraum auf.
Die Darsteller verinnerlichen die Handlungsmomente gut und singen diese noch besser, wie auch der von Gianluca Capuano einstudierte, zumeist statische Coro della Radiotelevisione Svizzera. Die gesangliche Präsentation erfolgt jedoch gerne und viel an der Rampe und insgesamt gilt hier jene Bezeichnung, welche die für „the show in the opera“ schon in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts besonders aufgeschlossenen britischen Opernbesucher bei derartiger szenischer Vorgehensweise wählen: „a lamp, dressed as a woolf“.
John Osborne als Pollione brilliert mit besonders schlankem Belcanto, und Rebeca Olvera bietet als mädchenhafte Adalgisa einen stimmlich frischen, hellen Ansatz für diese oft von Mezzos interpretierte Partie. Cecilia Bartoli in dunkel timbrierter Stimmführung und -Gestaltung der Partie mit zahlreichen, improvisierend eingelegten Bravourketten und brillanter Textaussprache eine Wucht, die Begeisterung ihrer Fans nachvollziehbar.