Ephesus im Wasser
In Shakespeares Swan Theatre zeigte jeweils nur ein blauer oder schwarzer Himmelsprospekt an, ob die Handlung der Aufführung ein tragisches oder doch heiteres Ende nehmen werde. Im Oeuvre dieses Dramatikers liegen positiver und negativer Ausgang, Rettung und Verderben so nahe bei einander wie selten sonst in der Weltliteratur des Theaters.
Bevor mit einem Anpfiff des Wachtmeisters das teils choreographisch abgezirkelte, teils circensisch als überbordender Slapstick angelegte Geschehen auf einer von Wasser umflossenen zentralen Zirkus-Manege beginnt, hat die Band von Hubert Bründlmayer, Bernd Satzinger und Komponist Patrick Lammer (am Flügel) das Publikum bereits in Stimmung versetzt, und insbesondere die Gesangsdarbietungen von Meike Droste, die sich kurz darauf als Adriana, die weibliche Hauptdarstellerin erweist, zünden. Sie leiten direkt in das Bühnengeschehen, welches dann teils melodramatisch, teils artistisch kommentierend von Kontrabass, Schlagzeug und Klavier begleitet wird. Zahlreiche Szenen werden in Musical-Manier solistisch oder als Ensemble gesungen, wobei sich auch der Song Stranger in Paradise aus dem Musical Kismet nahtlos einfügt – ein Evergreen, das bekanntlich seinerseits auf Alexander Borodins Polowetzer Tänzen basiert.
Im Michaela Mandels Bühnenraum erhebt sich im rechten Hintergrund ein gehäuftes Stuhlgebirge als begehbarer Wohnturm des reichen Ehepaars Antipholus und Adriana in Syrakus. Die zentrale Manege wird im Schlussakt zum Bug eines Schiffes, welcher dann in drei Teile zerbirst – so wie das Schiff jener Seereise in der Vorgeschichte, bei welcher die Trennung der Eltern und ihrer Zwillinge inklusive deren Diener-Zwillinge erfolgt war.
Der Regisseur steigert Witz und Tempo der Aufführung, indem die doppelten Zwillingsbrüder von je einem Darsteller gespielt werden. Thomas Wodianka als Antipholus ändert nur geringfügig seine Körperhaltung und setzt als erfolgreicher Geschäftsmann von Ephesus eine Brille auf, Florian Teichtmeister als Dromio schlüpft in die rasanten Wechsel des Syrakuser und des Ephesuser Dieners, bis hin zu Dialogen mit sich selbst, indem er jeweils seine farbige Wendekappe umdreht. Zwei echte Zwillinge, die Knaben Theodor und Konstantin Guttering, hat der Regisseur als stumme Rollen einer vom Leben (noch) ungeteilten Gemeinsamkeit eingesetzt.
Abgesehen von Elisa Plüss, die mit ihren inneren Kämpfen als verbotenerweise in den vermeintlichen Ehemann ihrer Schwester verliebte Luciana nahe geht und dem als aus feindlicher Fremde kommenden und daher zum Tode verurteilten Vater Egeon (Roland Renner) spielen alle Darsteller des Ensembles mehrere Rollen: Barabara des Koy, als einsame Mutter der verlorenen Zwillinge zur Äbtissin geworden, ist auch ein quirliges Hausmädchen, Karola Niederhuber nicht nur die Geliebte des Dromino von Ephesus, sondern auch Nachtclubsängerin, durchtriebene Hure und Assistentin des christlichen Scharlatan-Exorzisten Dr. Zwack (Christian Graf), Alexander Jagsch als Goldschmied Angelo unter Anderem auch Schuhputzer, Hure, Hafenarbeiter und Exorzisten-Assistent, Rafael Schuster als lebensgenusssüchtiger Priester Balthasar u. a. auch Mafioso und Schneider, Reinhold G. Moritz trunksüchtiger Wachtmeister ein Diener, wie auch Marcus Bluhm, in der Hauptrolle der auf Erfüllung seines Gesetzes pochende (und damit Maß für Maß vorwegnehmende) Herzog.
Am Ende der gerade noch einmal zum positiven Ausgang gewendeten, fatale Abgründe keineswegs auslassenden Story sind alle Handlungsträger, die vordem über Stühle, Bänke und Truhen das Wasser überquert hatten, mindestens bis zur Hälfte nass geworden – und dann setzt auch noch von oben ein dichter Bühnenregen ein.
Henry Mason beweist, wie der Vergleich mit seinem Salzburger Sommernachtstraum vor zwei Jahren zeigt, eine deutlich eigene Regiehandschrift: slapstickreich vereinigt seine Inszenierung historische Werktreue mit den Maximen des Regietheaters unserer Tage zu einer witzig-frechen Musical-Para-Oper.
Mason hat diese Komödie selbst ins Deutsche übertragen und damit ein Meisterwerk vollbracht: seine Übersetzung folgt dem Original in Versmaß und Reimbildung und badet in der für Shakespeare so typischen Doppel- und Vielfachbedeutung von Worten und begrifflichen Assoziationen: deren überbordenden Kettenfolge von Wörtern, streift dabei – wie der Dichter selbst – gerne die Grenze zur Zote (ein weibliches Faktotum als „Fuck-Totum“), reizt das Zwerchfell des Zuhörers und schafft darüber hinaus Stimmungen durch Wortkompositionen von hoher Musikalität.
Am Ende der pausenlosen, knapp zweieinhalbstündigen Aufführung Begeisterung beim Salzburger Festspielpublikum, das in einem Shakespeare-Stück schon lange nicht mehr so kurzweilig unterhalten wurde.