Nathan, der Gewinnertyp
Nathan ist weise, weil er nichts Dummes sagt. Die Geschichte um Nathan, den jüdischen Kaufmann, der in der Zeit des dritten Kreuzzugs während eines Waffenstillstands in Jerusalem zum Vermittler zwischen drei Weltreligionen wird, gilt als „die“ Parabel des Humanismus. Gotthold Ephraim Lessing textete sie 1779; viel Unverständnis zwischen Judentum, Christentum und Islam ist bis ins Heute geblieben, am Deutschen Theater in Berlin wird der Text nun in der Inszenierung des hoch gehandelten Regisseurs Andreas Kriegenburg als halb-ironisches Perpetuum mobile gezeichnet, innerhalb dessen sich die Religionen gegenseitig spiegeln. Dabei kommt heraus: Wir sind alle Gottes Kinder!
Dass jeder Mensch gleich ist, gleich viel Wert besitzt und gleiche Rechte und Pflichten hat, darin sind sich die Weltreligionen einig. Die Umsetzung, das beweist die Geschichte, bei Lessing die barbarische Zeit der Kreuzzüge, zeigt etwas anderes: Da geht es nicht um Miteinander, sondern um den Kampf um die Deutungshoheit der Welt. Wer setzt sich mit seinen Vorstellungen durch und wer sammelt dadurch das meiste Geld von seinen Mitgliedern ein?
Nathan scheint's egal, er konzentriert sich auf seine Geschäfte und verdient auf andere Art und Weise sein Geld. Nathan hält sich nicht ohne Grund aus dem Religions-Hickhack raus, denn seine Kunden stammen aus allen Religionen. Nathan hat das Geld, was die anderen für die Finanzierung ihrer Kriege benötigen, und deshalb ist Nathan gefragt, weil Nathan das Geld hat.
Im Deutschen Theater ist Nathan (gespielt von Elias Arens) ein selbstbewusster, aber unauthentisch agierender Charakter, der in gestanzten Sätzen spricht, die Worte scheinbar abwägend, ein Charakter, der taktiert - und Kriegenburg schafft es so, beim Zuschauer die Frage entstehen zu lassen, warum sich Nathan eigentlich nicht festlegt mit seinen Aussagen.
Da ist die Ringparabel, die Nathan benutzt, als er befürchtet, in den Fettnapf zu treten, als er vom Sultan gefragt wird, welche der Religionen die „wahre“ sei; die Parabel, die von einem Mann erzählt, der keinen seiner Söhne bevorzugen möchte, trifft beim Sultan ins Blaue: Nathan, der Gewinnertyp!
Diese Inszenierung scheint den Zuschauer ernst zu nehmen und kleistert auch den Gewinner Nathan von oben bis unten mit Lehm zu. Man könnte frei übersetzen: Auch die Gewinner sind nicht mehr wert, als die anderen - der rote Faden bei Lessing, der sich letztlich am Beispiel der Jüdin Recha, die sich als Christin entpuppt, zum ultimativen Knoten der Toleranz bindet.
Was bedeutet das Werk der Toleranz im Heute? Das Deutsche Theater präsentiert das Stück, mit der überzeugenden Leistung aller Darsteller (Nina Gummich, Bernd Moss, Julia Nachtmann, Jörg Pose, Natali Seelig), von der das Premierenpublikum angetan war, als Essenz des Wesentlichen: schlichte Bühne (Bühnenbild: Harald Thor), die Charaktere scheinbar uniformiert, mit Lehm beschmiert, sind sie alle nur Menschen.
Herrje, das tut gut im weltpolitischen Klima im Kampf um die Mittel der Erde!