Übrigens …

Der gute Mensch von Sezuan im Berliner Ensemble

Gutes besser machen

Guter Mensch Bertolt Brecht, guter Bert, der Du die sozialen Missstände Deiner Zeit so heftig kritisiert hast. Guter Bert, ewiges Idol aller Germanistikstudenten, die sich zum Lederjackentragen bekennen. Guter Bert, dein Antlitz moralischer Vollkommenheit leuchtet dem Zuschauer auch heute noch regelmäßig von Theaterbühnen hinunter, wenn sie Deiner Zeilen lauschen, wenn sie gebannt sind vom ewig Guten. Sicher, es gibt vielleicht ein zwei Namen des zeitgenössischen Theaters, die ähnlich gut und edel aus Moral eine Geschichte spinnen - aber können es Fritz Kater oder gar Armin Petras je mit Dir aufnehmen, guter Bert? Kann Armin Petras, wenn er sein schreiberisches Alter ego anlegt und sich Kater nennt, die Gosse in so prächtigen Farben beschreiben, wie Du?

Am Berliner Ensemble war nun der Praxistest angesagt und die Gosse, sie leuchtete, prächtig, heftig und gut mit extra viel Format, in der Inszenierung des bekannten Leander Haußmanns, als Der gute Mensch von Sezuan, Brechts ewiges Glanzstück der Theaterpädagogik, aufgeführt wurde.

Berliner Ensemble-üblich inszeniert Haußmann die Geschichte klassisch mit Gespür für Brechts Tonalität, ohne zu dick aufzutragen: Die Figuren jammern und jaulen, tragen fettige Haare und rote Strumpfhose (Kostüme: Janina Brinkmann), doch der Zuschauer wird nur hier und da mit Fleischbeschau belästigt.

Da ist die Prostituierte Shen Te, selbstbewusst gezeichnet von Antonia Bill, die von den drei Göttern (sympathisches Trio: Traute Hoess, Swetlana Schönfeld, Ursula Höpfner-Tabori) erhört wird: Mit etwas Geld in der Tasche eine Existenz gründen abseits des Schmutzes der Straße, das will Shen Te und bemerkt dabei, wie schwer es ihr gemacht wird, gut zu sein. Denn ihre Umwelt (individuell und überzeugend: Wang: Norbert Stöß; Yang Sun: Matthias Mosbach) zeigt Shen Te die Grenzen des Guten in einer schlechten Welt auf: Expropriation des Nicht-Expropriierenden, lautet frei nach Marx die Devise, und so legt Shen Te zum Schutz die Rolle des bösen Vetter Shui Ta an. Eine Maske, die das Überleben sichert.

Die böse Fratze des Kapitalismus, sie wird von Brecht beschrieben und kritisiert zugleich: Einen Ausweg aus dem Dilemma, authentisch zu bleiben und dennoch erfolgreich zu sein, zeigt Brecht nicht auf, und so wäre es eigentlich die Aufgabe Haußmanns gewesen, den Brückenschlag ins Jetzt zu versuchen: Vielleicht hätte Haußmann mehr machen können, aus einem Stoff, der heute aktueller denn je scheint. Vielleicht hätte sich Haußmann von amerikanischen Serien inspirieren lassen können, in denen die Figuren heute schon orakeln, ob die Psychotricks aller erfolgreichen Banker und Berater in Bälde gesetzlich verboten werden könnten, weil sie den Kunden mit unter schaden.                             

Am Berliner Ensemble bleibt man weitestgehend werktreu, das Bühnenbild ist angenehm langweilig (Via Lewandowsky) und bietet allen Berlin-Touristen, die in Brechts Stadt Berts Schaffen sehen wollen, einen handwerklich überzeugend gestalteten Theaterabend. Nach der Pause sind die Reihen jedoch deutlich gelichtet - vielleicht hat das kühle Bier an der nahe gelegenen Spree gerufen.

Schließlich war Brecht ja schon Pflichtlektüre in der Schule.