Der Tragödie folgt das Satyrspiel
Vom erklärten Volksfreund zum ausgestoßenen „Volksfeind“ ist es ein kurzer Weg. Im Zürcher Schauspielhaus, dem „Pfauen“, landete Stefan Pucher mit seiner Inszenierung von Henrik Ibsens Ein Volksfeind, von Dietmar Dath mit Videos, Internet und Bloggern ausgestattet, inmitten unserer fiktionalen Gegenwart, in der das Wort Verantwortung zur unverbindlich-beliebigen Floskel abgestürzt ist. Einem künstlerischen Absturz sehr nahe ist die zweite Inszenierung der neuen Spielzeit, die Uraufführung von Der neue Himmel des Autorenduos Nolte Decar, bürgerlich Jakob Nolte und Michel Decar, beide um die 27 Jahre alt. Ihr Himmel, bei den Autorentagen des Deutschen Theaters Berlin unter den „Siegern“, ist so etwas wie das Satyrspiel voller Albernheiten zum Spielzeit-Start an der Limmat.
Vom Volksheld zum Volksfeind
Der Kurarzt Dr. Tomas Stockmann verheddert sich mit seinen rigiden Moralvorstellungen im Kleinstadt -Filz von Korruption und bürgerlicher Feigheit. Wenn Ibsens Volksfeind im „Pfauen“ endgültig aus dem Ruder zu laufen scheint, ist Stefan Puchers Inszenierung in Wirklichkeit in ihrem Kern angelangt. Theater gerät zur öffentlichen Bühne. Barbara Ehnes' Spielfläche, zuvor mit Video-Kamaras, Smartphones und Projektionen voll gespickt, ist nun fast leer. Im Foyer hat sich derweil Ungewöhnliches etabliert: Teile des realen Publikums, zur Wahl eines Versammlungsleiters im Casus Dr. Stockmann nach draußen gebeten, beweisen, zur Debatten-und Demokratie-Kultur und zu Stockmanns Thesen befragt, Daths und Puchers These: Demokratie führt letztlich zur Feigheit und schafft sich selber ab. Keiner der Befragten traute sich nämlich, seine Meinung zu äußern.
Dr. Stockmann, eine moderne Version des Kleistschen Michael Kohlhaas, ist in dieser „Schweizer Fassung“ der Ibsen-Adaption aber auch leicht vom Flair der Arroganz umgeben. Immerhin hat er herausgefunden, dass das Fracking der das wirtschaftliche Schicksal des kleinen Kaffs beherrschenden Firma zur Vergiftung des Kurwassers und des Bodens geführt hat.
Das hinauszuposaunen, würde zur finanziellen Katastrophe führen. Glauben alle. Auch die, die es besser wissen müssten. Doch der Kurarzt ist erledigt, aus dem Heiligen erwächst der Teufel. Der großartig agierende Markus Scheumann ist dieser Verstiegene, der für die einmal erkannte Wahrheit durch Wände geht.
Dietmar Darth gelingt es, mit Puchers Pusher-Regie den bürgerlichen Revolutionär des Norwegers zu einem revolutionären Bürger in der Welt des Internets, der Blogger und fiktionaler Realität zu verwandeln. Ibsens Stück aus dem Jahre 1883 ist im Heute gelandet. Geblieben ist dabei freilich lediglich der Kern: Aus den entdeckten Fäulnisstoffen, die den Arzt in Ibsens Original auf die Barrikaden treiben und zum Held werden lassen, um wenig später wie eine heiße Kartoffel fallengelassen zu werden, ist ein Kämpfer gegen durch Fracking verseuchtes Wasser geworden. Aus dem Helden wird auch in Zürich rasch der „Feind“ des „Volkes“, weil wirtschaftlich alles den Bach runterginge, wenn die gifterzeugende Firma „die Kurstadt mit der fortschrittlichsten Kommunalverwaltung aller Zeiten“ verließe. Ein Abend, der sich zunehmend steigert. Bis zur grandiosen Philippika eines Mannes, der alles opfert, um alles, was ihm Wert ist, zu gewinnen. Ein Triumph von Individualität und tragischer Größe.
Vom Himmel auf die Erde
Sollte Der neue Himmel so aussehen wie im Kreativ-Kopf des Autorenduos Nolte Decar, bedürfte es eines einschneidenden intellektuellen Abstiegs. Denn was Sebastian Kreyer in seiner Inszenierung aus den witzig daherkommenden Banalitäten herauskitzelt, ist Ballermann auf theatralischer Ebene. Der erste Teil bietet Szenen in sechs Kontinenten, in denen die Akteure durch Raketen- und Drohneneinschläge schlagartig ums Leben kommen. Die Südseeinsel lockt mit Palmenkitsch, Kolumbien mit Hispano-Getue, in Nigeria spielen Flusspferde eine tragende Rolle. Dass sich das Plastik-Tier dabei erregt und plötzlich Kopf, Hals und Grunzen in Bewegung und Töne geraten - naja, so ist das eben in der Comedy-Welt. Von dem „schwarzen Humor“, den das Programmheft im zweiten Teil des Stückes - der ist zweifellos besser - entdeckt haben will, ist allenfalls ein leichter Grau-Ton zu entdecken. Wie auch immer: Dem Publikum gefiel's.