Meeresrauschen im Museum
Die Zwingli-Stadt Zürich und der wortkarge Jon Fosse - das geht offenbar bestens zusammen. So puritanisch sich die Stadt an der Limmat gibt, so spartanisch dazu passend zeigt sich der 56-jährige Norweger. Schon Christoph Marthaler inszenierte hier den Gitarrenmann 2001, Matthias Hartmann bannte Ich bin der Wind 2009 auf die Bretter des Schauspiels Zürich, Schönes ließ Werner Düggelin 2013 folgen, und 2000 ließ Falk Richter Fosses Die Nacht singt ihre Lieder erklingen.
Nun griff Hausherrin Barbara Frey nach dessen Meer. 2014 im norwegischen Bergen uraufgeführt, wird es, wie der Autor wissen ließ, sein „letztes Theater-Stück“ sein. Mit „langsamer“ Prosa will der Mann künftig glänzen, dessen Stücke in über 40 Sprachen übersetzt wurden. Wer die Wortkargheit des Ibsen-Verehrers in einem seiner 33 Dramen erlebt hat, versteht die Neigung zur „Langsamkeit“, die zudem meist mehr Intensität in sich birgt als die Bühnengeschwätzigkeit manch' verbaler Weltversteher.
Dunkelheit, Stille. Sechs Personen suchen - nein, nicht ihren Autor. Der hat sie in eine fast sprachlose Welt geworfen. Die Sechs werden immer wieder fragen: „Wo sind wir?“ Die Szene erinnert an ein Museum. Bänke laden zum Verweilen ein. Doch bereits mit dem Bühnenbild beginnt die Verwirrung: An schwarzen Stellwänden hängen Bilder. Doch was wir sehen, ist das immer gleiche Bild, im Detail kaum erkennbar. Erst ganz zum Schluss, nach 75 Minuten konzentriertester Identitätssuche, wird das Bild klar erkennbar. Es ist, braun in braun getönt, eine Flussszene mit Segelboot - die „Flussmündung“ von Jan van Goyen (1596-1656). See und Innenraum - aus diesem Kontrast schlägt Fosse dramatische Funken.
„Ich bin der Kapitän“, behauptet ein Mann ganz zu Beginn. Ein Jüngerer hält dagegen: „Wir sind aber nicht auf einem Schiff!“ Und schon sind wir in Fosses ver-rückter Innenwelt gefangen. Wenig später fassen sich die Beiden bei den Händen, umarmen sich - und überlassen einem jungen Paar die Szene. „Kennen wir uns?“, zweifelt sie. Es darf gerätselt werden. Auch sie gehen ab, Hand in Hand. Ein älteres Ehepaar, ganz auf Distanz eingeschworen, versucht sich danach zu vergewissern: „Das bist ja du!“, staunt er. Annäherung sieht anders aus.
Bilder und Szenen reihen sich zu starken Tableaus an- und ineinander. Sie machen Fremdsein und Einsamkeit schmerzlich erkennbar. Dass weder „Die ältere Frau“ noch „Der ältere Mann“ den „Kapitän“ als ihren Sohn noch „Die Frau“ als ihre Tochter erkennen, ist schon von subtiler Realität. Keiner erkennt den Anderen, aber auch keiner sich selbst. Sie scheinen Menschen aus einer verlorenen Vergangenheit, die zeit- und namenlos über die Weltmeere treiben.
Zum Schluss spielt der Gitarrenspieler auf seiner Luftgitarre, alle legen sich, jeder einzeln, auf eine der sechs spartanischen Bänke - und das zuvor schwach beleuchtete und kaum erkennbare Flussbild wird klar erkennbar. Das Spiel ist aus. Ein Spiel, das eindringlich von innerer Spannung erzählt und in der konzentrierten Inszenierung von Barbara Frey das Publikum zu lang anhaltendem Applaus bewegen konnte.