Junges Musiktheater mit Geräuschkulisse, Klassik- und Tristan-Zitat
Odysseus als Dramatis Persona hat immer wieder die Komponisten verschiedenster Epochen gereizt, von Claudio Monteverdi über Luigi Dallapiccola und Hermann Reutter bis Klaus Arp und Dimitri Terzakis. Womit August Bungert eine ganze Tetralogie angefüllt hat, dafür benötigt die jüngste musiktheatrale Version über die Geschicke des trojanischen Helden nur neunzig Minuten. Das Auftragswerk der Deutschen Oper Berlin fügt der Geschichte noch ein neues Ende an.
Den Auftrag erhielt der 1993 geborene, rasch als musikalisches Wunderkind und kindlicher Musikstudent bewunderte Ole Hübner. Mit Anfang 20 leitet Hübner nun vom Laptop, an dem er seine Elektronik steuert, selbst mit klassischen Dirigierbewegungen die Aufführung seiner Komposition.
Neben der eigenen Elektronik sind es die Instrumente Saxophon, Gitarre, Keyboard, Kontrabass und Schlagzeug, auf die der Komponist neben einigen Vokalpassagen setzt. Da müssen die Orchestermitglieder auch schon mal als Chor der Zyklopen inen Choral á la Hans Leo Hassler anstimmen oder den Sirenen ihre Gesangsstimme leihen. Ungewöhnliche Geräusche mit Kehlkopf, Zunge und Lippe erzeugt die Vokalperformerin Frauke Aulbert, die szenisch auch in einige – bei Homer den Helden zumeist in Gefahr bringende – Frauenrollen schlüpft, aber am Ende als Penelope auch noch eine textlich neugefasste Paraphrase auf Isoldes Schlussgesang anstimmt. Zumeist jedoch setzt Hübners Partitur auf sich filmisch gebärdende Geräuschkunst.
In seiner dramatischen Fassung beginnt das Regieteam Harriet Maria und Peter Meining mit den Göttern im heutigen, verschuldeten Griechenland als den Auftraggebern für ein Musiktheaterstück, deren göttlich gecastete Beteiligte dann mit kompletten Biographie-Abrissen vorgestellt werden. Dem Prinzip der alten Schaubühne (am Halleschen Ufer), etwa bei Ibsens Peer Gynt, folgend, soll es auch im Theater an der Parkaue und damit auf der Werkstatt-Bühne der Deutschen Oper Berlin keine Stars geben: die drei Schauspieler Tom Quaas, Jakob Kraze und Johannes Hendrik Langer teilen sich die Partie des Odysseus, wie in allen weiteren, zumeist männlichen Rollen der Handlung. Im vorproduzierten Film, projiziert auf drei zentrale Segel, verkörpern sie auch Zeus, Athene und Hermes. Zwei seitliche Screens dienen dem Videokünstler René Liebert für Animationen antiker Darstellungen der abenteuerlichen Seereise.
Leider jedoch – insbesondere in pädagogischer Hinsicht, was die jungen Besucher angeht – wird der Begriff „modern“ eben so falsch verwendet wie bisweilen im Volksmund; und in doppelter Hinsicht inkorrekt angewandt wird er auf diese Produktion, die im Spieltext als „modernes Musiktheater“ bezeichnet wird (Dramaturgie: Sebastian Hanusa und Lina Zehelein; Theaterpädagogik: Tamara Schmidt und Irina-Simona Barca). Die von Konstanze Grotkopp aus Alltagsgebrauchsgegenständen mit viel Witz hergestellten Requisiten und Kostüme sind sichtbar an die hintere Abschlusskante der Spielfläche aufgereiht.
Die Inszenierung ist kurzweilig und sehr gut gearbeitet, wie es insbesondere das Zusammenspiel mit akkurat aufeinander abgestimmten, sich erst in der Projektion zu einem Gesamtbild fügenden Details der drei Schauspieler beweist, – etwa wenn sich bei der Blendung des Kyklopen drei Bleistifte zu einem gigantischen Pfahl ergänzen. Nachdem der im Heute angesiedelte Held endlich zu Frau und Tochter heimgekehrt ist, wird er schließlich auch noch zu einem sich politisch korrekt verhaltenden Zeitgenossen umgebogen. „Besucher ab 10 Jahren“ hätten wohl auch das dem Mythos adäquate Handeln der Figur akzeptiert. Doch auch noch jüngere Besucher vermochten dem Spiel gebrochener Realitätsebenen zu folgen.