Rätsel der Frau
Der aktuellen Gesellschaft den Spiegel vorhalten, kann das ein Autor nicht immer dann am besten, wenn er es am Beispiel der Liebe tut? Henrik Ibsen hat es 1879 getan mit der Urszene der Emanzipation, so nennt das Deutsche Theater den Erfolgsschlager Nora.
Gegossen aus bürgerlichen Zwängen und den menschlichen Grundemotionen Liebe, Ehrgeiz und individuellem Glücksstreben, kommt dabei zumVorschein, dass Nora in der Ehe mit Torvald leidet. Die Mariage ist zwar bürgerlich - aber dafür unglücklich.
Ibsen brachte so ins Bewusstsein seiner Zeit, dass sich Gefühle nicht in Konventionen gießen lassen, Vertrauen und Loyalität zwischen Mann und Frau nicht mit der Unterschrift auf einem Blatt Papier automatisch die Jahre überdauern.
Dem Berliner Haus ist nun eine Glückskonstellation gelungen, indem es Theatermann Armin Petras an den Ibsen-Klassiker ran ließ. Petras, bekanntlich schmerzfrei, wenn es um das Auf- und Abarbeiten von Klischees und Stereotypen geht, verpasst Nora eine sprachliche Frischzellenkur.
Nora, das durchtriebene Naivchen, das sich mit der Trennung vom dominantenTorvald emanzipiert und sich damit als Mensch findet, indem sie ihre bürgerliche Rolle als Frau ihrer Zeit verliert, kommt bei Petras im Jetzt an.
Nora ist eine Frau, die an den Eskalationen mit ihrem Ehemann ihren Anteil trägt, das wird bei Petras deutlicher, da Nora zeitgemäß offensiver auftritt - ohne den Schleier der Konventionen. Banker Torvald schleppt das Geld nach Hause. Doch mit den Karriereschritten kommen die Probleme: Nora scheint irgendwie stolz auf ihr Alphamännchen, doch verwehrt sie ihm die nötige Anerkennung. Liebt sie ihn nicht? Ist sie neidisch auf die Aktion, die Torvald im Beruf erlebt, während sie sich das rote Negligee für den Feierabend überstreift?
Schönheit ist vergänglich, Geld lässt sich hingegen mit etwas Verstand krisensicher anlegen. Die Frau ist dann die Unterlegene, wenn eine Gesellschaft in Hierarchien und Verteilungsfragen denkt.
Doch das gesellschaftlich getriggerte Machtspiel zollt den Menschen Tribut: „Nora, nicht so crazy!“, mahnt der Banker (super gut, da super unsympathisch gezeichnet: Bernd Moss). Wenn Nora im Überdruss wie ein verwöhntes Gör herumspinnt, ist sie dann mehr Kleinkind als erwachsene Frau. Torvald hat keinen Bock auf seine verstimmte Zuckerpuppe. Und Nora spinnt ihre Intrigen.
Tja, diese Nora, was ist sie denn nun? Opfer ihrer Zeit? Laszives Luder? Einfach eine Frau, die den falschen Mann geheiratet hat? Oder doch devote Gattin, enttäuscht vom Leben? Schauspielerin Katrin Wichmann hat mit ihrer mädchenhaften Ausstrahlung und ihrer durchsetzungsstarken Bühnenpräsenz auf jeden Fall alle Noras drauf.
Ebenfalls überzeugend: Spaltpilz Krogstad (Moritz Grove) sowie Christine (Tabea Bettin) und Doktor Rank (Daniel Hoevels).
Regisseur Stefan Pucher bindet Petras verbale Direktheit passgenau ein, und die für die Bühne Verantwortliche Barbara Ehnes stellt einen sanften Kontrast zwischen poetisch-träumerischen Elementen (Rückblenden in den Ibsen-Text) und witzigem Protz-Schick her, in dem sich die „Desperate Housewifes“ dieser Welt wohl fühlen.
Glückwunsch an das Deutsche Theater zu einer überzeugenden Nora-Interpretation. Herzliches Beileid an alle Sinnsuchenden: Das Patentrezept für eine glückliche Ehe scheint nach wie vor rätselhaft wie Blondchen Nora!