Je suis Jeanne d'Arc im Gorki-Theater Berlin

Chaos im politischen Zirkus

Eine verbissene Zicke in der Rüstung der Heiligen ist diese Jungfrau von Orleans, jedenfalls im Zugriff des französischen Regisseurs Mikaël Serre, der den Einmarsch der Franzosen ins Berliner Gorki-Theater inszenierte: Je suis Jeanne d'Arc heißt das Schauspiel mit vielen Effekten, witzigen Elementen und scheinbar wenig Tiefgang. Als textliche Vorlage dafür diente Serre Schillers Stück Die Jungfrau von Orleans, von dem allerdings nicht viel übrig blieb.

Wie auch? Schließlich haben Falilou Seck, Aram Tafreshian und Till Wonka - als „König“, „La Hire“ und „Dunois“ ein comic-artiges Trio im Mittelpunkt des Geschehens - ordentlich in die Mottenkiste gegriffen: Flügelchen hier, ostentative Gestik dort, Gerappe, szenisches Gezappe, Switches in die Jetzt-Zeit, Konsumkultur, Nationalismus, Le Pen.

Inhaltlich bewegt sich das dann bei Witzen auf dem Niveau von „Je suis Charlie“ … ähh nö … „Je suis Charlie Brown“. Es wird gelacht, und es ist nicht ganz klar, ob es sich hierbei um verlegenes Gelächter oder tiefer gehenden Humor handelt, der den Abend überdauert. Das unsichere „Darf-Ich-Das-Jetzt-Lustig-Finden“ mit Nach-Rechts-Und-Links-Gespähe in den Reihen spricht für Ersteres.

Die politische Situation im heutigen Frankreich ist verstörend, vielleicht gerade für Theaterleute – und so werden gerne alte Stoffe mit der nötigen Portion Aktualität versehen, um zu untermauern, dass es gerade besonders schlimm ist, dieses Jetzt. Manchmal muss das Publikum darunter leiden.

Das Gorki-Theater setzt dieses Stilmittel gerne ein; früher wollte Intendant Armin Petras seine Fangemeinde auf die moralische Pritsche schnallen und mit stundenlangen Ausführungen zur  gesellschaftlichen Ungleichheit foltern, nun kommt das Ganze unter Sermin Langhoff und Jens Hillje deutlich gefälliger über die Rampe. Die Schauspieler müssen keine Kohlen mehr schaufeln, sondern dürfen auch einmal hübsche Kostüme anziehen, so wie Heldin Marina Frenk, alias Jeanne, die im weißen Kleidchen den Jungfrauentest über sich ergehen lässt. Politisch korrekt zeigt der Popo dabei Richtung Hinterbühne.

Ein Genuss für alle verkappten Machos, denn, ach, diese Jeanne ist - ins Reine gesprochen - einfach herrlich unsympathisch: Wie sie da steht, mit ihren altklugen Sprüchen und ihrem Abgenerve! Kein Wunder, dass die „keinen abkriegt“ und stattdessen die armen Männer retten will, die sich doch eigentlich nur in Ruhe die Köpfe einschlagen wollten. Fast mag man Mitleid mit „Bourgogne“ (klar gespielt von Aleksandar Radenkovi?) empfinden.

theater:pur versucht nun doch einmal eine Deutung: Bei Schiller ging es um Konflikte, die irgendetwas mit Religion zu tun hatten. Bei Serre geht es immer noch um Konflikte, die irgendetwas mit Religion zu tun haben. Daraus ergibt sich, dass schon während des 100-jährigen Krieges Auseinandersetzungen oft etwas mit Religion zu tun hatten. Auf der Bühne wird deutlich: auch Feindschaften im Heute haben oft mit Religion zu tun. Now and then gibt es dann aber diese aufrechten Menschen, wie Jeanne, die sterben müssen, weil sie jenseits der Religion für irgendwas anderes stehen. Und posthum wird heilig gesprochen. Damals und heute ergibt sich die Frage, ob die Religion den Menschen dient - oder die Religion den Menschen nicht vielmehr schadet?

Heute sterben die Redakteure der Zeitschrift Charlie Hebdo, weil sie aufrecht sind. Deren Arbeit erreichte kaum Auflage, doch dann werden Kerzen angezündet – auch von Menschen, die die Zeitschrift nie gekauft hatten.

Man könnte diesen politischen Zirkus bigott nennen: Denn ganz ehrlich - nerven sie uns denn nicht alle ein bisschen, diese aufrechten Menschen - gerade wenn sie Texte auf Theaterbühnen bringen?