Übrigens …

Duse im Staatsoper Hamburg

Neumeiers „Duse“ - Choreografische Phantasien

Die Italienerin Eleonora Duse (1858-1924) galt als charismatische Schauspielerin mit elektrisierender Bühnenpräsenz. Die Welt lag ihr zu Füßen. Aber als Mensch wurde sie nicht glücklich. Männer nutzten sie aus und verließen sie. Ihr größter Wunsch, Mutter eines Sohnes zu werden, ging nicht in Erfüllung. In der resoluten Französin Sarah Bernhardt hatte sie eine erbitterte Rivalin auf den Bühnen der Welt wie auch privat. Beide ließen sich von dem Dichter Gabriele D'Annunzio verführen, den die Duse früh gefördert hatte. Die zarte Ausdruckstänzerin Isadora Duncan wurde zur engsten Vertrauten, die es zu trösten galt, als beide Kinder bei einem Autounfall ums Leben kamen. Im Alter von 66 Jahren starb die Duse auf einer Tournée durch die Vereinigten Staaten an einer Lungenentzündung.

Die zierliche Ballerina Alexandra Ferri machte ähnlich glanzvoll  Karriere. Gefeiert als Primaballerina in Mailand, Paris und New York kehrt die 52-Jährige nun nach ihrem Bühnenabschied vor einigen Jahren zurück und hebt John Neumeiers für sie kreierte Duse - Choreografische Phantasien aus der Taufe. Ihrer stupenden Technik, Präzision, Biegsamkeit und schlafwandlerischen Sicherheit in den halsbrecherischen Hebefiguren zollte das Premierenpublikum am Schluss begeisterten und respektvollen Applaus.

Allerdings: es waren kurze Passagen, die sich zudem mit den unterschiedlichen Verehrern viel zu sehr ähneln. In der Darstellung und persönlichen Rollengestaltung übertrafen Silvia Azzoni als Sarah Bernhardt und Simone Laudere als Isadora Duncan sowie Hélène Bouchet als Duses Dienerin in ihrer Trauer um die so plötzlich verstorbene Herrin den Gast bei weitem. Auch die Männer geben lebendigere Charakterstudien: der rassige Armenier Karen Azatyan als Dichter und Verführer d'Annunzio sowie Armand in der „Kameliendame“, der drahtig jungenhafte Alexandr Trusch als Soldat Luciano Nicastro (und in einem zweiten Dumas-Ausschnitt, als Armand), Carsten Jung als Arrigo Boito (und M. Duval). Viele Details, die Neumeier mit bizarren Verschnörkelungen und Unruhe vertanzen lässt, sind nur mithilfe der Angaben auf dem Programmzettel zu verstehen. Einen roten Faden durch die bunt gemischten Episoden aus der Bohemien des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts bilden eine mobile, banale Zuschauerbank und ein Bühnenpodest.

Ganz anders der kurze, zweite Teil: die Duse und ihre vier Liebhaber im Himmel. Auf Pärts Trauermusik „Fratres“ - genau in dem Stil, wie Neumeier in den 1970er und 1980er Jahren choreografierte. Kunstgewerblich wirken die Posen, Reihungen und Verbindungen. Oft bilden zwei oder drei Tänzer Figuren wie man sie in Anfängerlesebüchern für die Darstellung einzelner Buchstaben findet. Immerhin bildet dieses Finale, in das die wirren Theatergeschichten münden, eine ästhetische Einheit.

Neumeiers Musikwahl, perfekt vorgetragen vom Philharmonischen Staatsorchester unter Simon Hewett, ist schlüssig und gut erprobt für den Tanz: Brittens „Frank Bridge Variations“ hat Hans van Manen höchst eindrucksvoll in seiner bekannt asketischen, vornehmen Handschrift choreografiert, während Neumeier selbst - gefolgt von anderen - Arvo Pärts „Fratres“ 1986 für das Stuttgarter Ballett schuf. Wenn Fotografien und Kritiken nicht täuschen, ähnelt der zweite Teil von Duse eben diesem früheren, mystisch entrückten Werk, das Neumeier für die fast 50-jährige Marcia Haydée schuf und das bei der jüngsten Wiederaufnahme 2010 von der hochsensiblen Sue Jin Kang getanzt wurde. Jedenfalls bietet das Duse-Finale Alexandra Ferri einen Auftritt, der berührt.